Allan Harris | 11.02.1996

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Daß der Jazzgesang bis dato vor allem eine Domäne der Frau ist, liegt an den Männern selbst. Die Herren der Schöpfung erschöpfen ihre vokalen Fähigkeiten nämlich weitgehend im Blues oder Soul und scheuen die tiefe emotionale Komponente der alten Klassiker wie der Teufel das Weihwasser. Die rühmliche Ausnahme der Regel stellte sich am vergangenen Freitag bei einem raren Konzert der „Rising-Stars“-Serie im Neuburger Birdland-Keller vor: Allan Harris, 30jähriges Stimmwunder aus Brooklyn, New York, mit dem Zeug zum absoluten Weltstar.

Denn so, wie das junge, von Tony Bennett entdeckte Riesentalent mit den vielen zeitlos schönen Evergreens umzugeht, hat dies seit Jahrzehnten keiner der großen Sänger aus Harlem mehr getan. Der farbige US-Boy verkörpert die Quintessenz der frühen Jimmy Witherspoon, Joe Williams, John Hendricks und vor allem Nat King Cole, seine fast dreistündige Show besitzt das rauschhaft-laszive, glitzernde Flair des Broadway. Und das, obwohl Allan Harris nie zu dick aufträgt und seine technisch ausgereifte Stimme zugunsten irgendwelchen Schnickschnacks eindeutig in den Vordergrund stellt.

Daß sich der Birdland-Besucher dennoch bestens unterhalten fühlen konnte, lag zum einen an bemerkenswert stimmigen Auswahl des Programms, der feinen Begleitband in Gestalt des Pianisten Joe Dinkelbach, des Bassisten Fanz van Geest sowie des Drummers Martyn Venh und zum anderen an einer launigen Demonstration der immer seltener zu erlebenden Fähigkeiten des professionellen Entertainments. Denn Harris braucht das Livefeeling, wie die Luft zum Atmen. Seine charmante, unplumpe Art, mit der er mit dem Publikum im vollbesetzten Keller kommunizierte, es in seine Performance einband, ihm authentische Geschichten aus dem New York der 30er und 40er Jahre, seinem Elterhaus, von seinem Vorbild Ray Brown oder von James Moodys witziger Geburtstagsparty (mit stimmlicher Imitation der einzelnen Instrumente) erzählte und es sogar von der Bühne herunter für das eigene Erinnerungsalbum fotografierte (!) schufen ein selbst für den Neuburger Jazzkeller seltenes, heimeliges Ambiente.

Seine gesangliche Bandbreite reicht weit: vom elegant-sonoren Timbre über kehlige Bluesshouts, druckvoller, dreioktativiger Vokalese, schmachtendem Balladengeflüster bis hin zum schweißtreibenden Scat. Daß der rhythmisch vitale „Crooner“ Klang, Phrasierung und Text in eine fast organische Synthese zu bringen versteht, verleiht Uralt-Titeln wie „The Nearness of You“, Fats Waller „Ain`t Misbehavin`“, Charlie Parkers „Yardbird“, dem Rhythm`n` Blues-Klassiker „Route 66“ oder Gänsehaut-Schleichern wie „Midnight Sun“, „Secret Love“ oder „You`re my everything“ sogar einen frischen, unverbrauchten Glanz.

Gerne hätten sich die am Ende des Gigs völlig losgelösten Zuhörer neben einigen Zugaben auch noch mehr von Allan Harris` leider nur spärlichen Kostproben auf der Gitarre gewünscht, die der Tausendsassa ebenfalls trefflich beherrscht. Aber an einem solch anregenden Abend wäre dies wohl zuviel des absoluten Wohlgefühles gewesen.