Er war nie weg, auch wenn gelegentliche Szeneschnupperer das dachten. Nur weil Heinz Sauer nicht überall und mit jedem spielte, sich seine gesunde Trotzhaltung gegenüber dem, was einem die Gesellschaft an Regeln, Zwängen und Moden auf die Stirn pappen will, bewahrte.
Der vielleicht beste Tenorsaxofonist, den der deutsche Jazz je gesehen hat, wollte einfach ein selbstbestimmtes Künstlerleben führen, schon seit jenen Zeiten, als der den instrumentalen Kontrapunkt für Albert Mangelsdorff in dessen Quintett gab. Dass er in den vergangenen Jahren in einem atemberaubenden Duo mit Piano-Shootingstar Michael Wollny selbst endlich in den Fokus einer breiteren Öffentlichkeit geriet und gerade noch rechtzeitig die ihm längst zustehende Wertschätzung erfuhr: für ihn Zufall und eigentlich bedeutungslos. Genauso wie sein 80. Geburtstag im vergangenen Dezember.
Nach Neuburg kam Heinz Sauer sowieso schon immer. Er half dem dortigen Birdland-Jazzclub ab 1985 beim Wiederaufbau, spielte mal vor 50, mal vor fünf Zuhörern. Diesmal waren es beinahe erwartungsgemäß rund 100. Volles Haus. Für einen Erz-Jazzer wie Heinz Sauer macht das keinen Unterschied. Beim ihm klingt jedes Konzert, als wäre es sein letztes. Er reißt nie irgendetwas bloß herunter, sondern serviert stets sein Herz auf einem Silbertablett. Jeder einzelne Ton ein Tropfen Blut. Der Mann kann gar nicht anders. Er sei nun mal Künstler und kein Musikant, stellte Sauer, seiner ureigenen Logik folgend, vor kurzem fest.
Da spielt auch der Duopartner keine entscheidende Rolle. Dass der Alterslose nun in Neuburg mit seinem langjährigen Freund, dem ebenso sträflich vernachlässigten, wunderbaren amerikanischen Pianisten Bob Degen, antritt, verändert die Dramaturgie der Performance allenfalls marginal. Denn Degen versteht sich im Gegensatz zu Michael Wollny mehr als Begleiter, als Diener der Musik, als Klangmaler, der die organisch anmutenden, einem Kreislauf gleichen Linien Sauers in passgenaue, weiche, warme Farben einbettet. Sie diskutieren nicht, sondern ergänzen sich, stützen einander, lassen den anderen gut aussehen. Die beiden Seelenverwandten einigen sich auf Spirituals und Standards, auf ein wunderbar abgedrehtes Round Midnight, ein völlig entblößtes God Bless the Child, ein befreiendes Deep River oder Degens Kompositionen. Persönliche Marksteine, durch die sich das instrumentale Wechselspiel zu keiner Phase in trügerischem Wohlklang verliert.
Sauer und Degen ertasten vor einem andächtig lauschenden Publikum ein Areal, das nicht nur groß, sondern nahezu unendlich wirkt. Sensibel, fein in der Wahrnehmung, enorm in der Hingabe, entdecken sie sich dabei selbst. Nichts wirkt abgesprochen, keine Phrase zwei Mal gespielt. Die Bandbreite der Gefühle pendelt zwischen einem zarten Windhauch auf der Haut und der Urgewalt eines Vulkanausbruchs, bei dem die Töne wie Lava aus dem Horn fließen. Heinz Sauers Saxofonsound besitzt gerade nach der Pause fast körperliche Dimensionen. Mit einem Quantensprung will er sein Innerstes durchmessen. Räume mit gläsern-spröden, hauchzarten Wänden. Korridore voller fließender Bewegungen. Schreie, Stöhnen, Seufzen, Sehnsucht, Schmerz, Trauer, Glück.
Aus den beiden spricht ein erfrischend unverbrauchter Geist der Freiheit, aber auch die Erfahrungstiefe zweier Männer, die den Jazz noch als Musik der Improvisation, als Spiegel der Seele verstehen. Sie haben etwas, das andere nur selten abseits des Mainstreams erreichen: Authentizität, Menschlichkeit, Klasse. Weltklasse.