Harry Allen Quartet | 12.05.2000

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Einfach swingend, easy und mit Drive, dennoch anspruchsvoll und konzentriert auf der Höhe der Zeit, so gab sich das Harry Allen Quartet im Neuburger Birdland. Allen und seine erstklassige Band traten einen frappierend ergiebigen musikalischen Gang in die Geschichte des Jazz an.

Ein solcher Konzertabend ist jeder Frischzellenkur vorzuziehen. Die vier hauchen tausendmal gehörten Themen und Melodien unvermittelt taufrisches Leben ein: Ellingtons „Mood Indigo“ mit swingender Brillanz, Jobims „No More Blues“ mit Leichtigkeit, Wärme und Variabilität im Ausdruck, Gershwins „But Not For Me“ mit tänzerischer Nonchalance. Harry Allen ist bei aller Traditionsverbundenheit nicht an Gralshütertum oder dem musealen Polieren von Vitrinen interessiert. Fröhlich und auf kreative Weise legt er sich mit dem Zeitgeist an und zeigt, daß Zukunft sich nicht ohne Herkunft erschließt.

Der Rising Star am Tenorsaxophon präsentiert sich mit robustem lauterem Ton. In wohlkalkuliert naiv wirkender Direktheit setzt er zu seinen Höhenflügen an, die sich plötzlich in der Vogelperspektive wiederfinden, den einen oder anderen Purzelbaum schlagen und alles auf den Kopf zu stellen scheinen. Unverkrampft und unverkopft reihen sich die Töne aneinander wie an einer schimmerenden Perlenschnur, pure Freude prickelt durch den Keller wie ein gutes Glas Champagner. Vor allem im Zusammenspiel mit dem fabelhaften Gitarristen Joe Cohn schlingen sich atemberaubende Linien ineinander zu luftigen Gebilden der Phantasie. Das wunderbare „I Get Along Without You Very Well“ wurde wohl seit Chet Bakers Tod selten in derartig eindrücklicher Herzensnähe dargeboten.

Joe Cohn erweist sich als gelehriger Schüler Charlie Christians. Mühelos schlägt er einen Bogen über mehrere Jahrzehnte Jazzgeschichte, wie wenn es die dort angesammelten Ballaststoffe gar nicht gäbe. Da brennt das Griffbrett förmlich unter den Kapriolen schlagenden Fingern. Joel Forbes am Bass unterfüttert das Geschehen mit trockener Prägnanz und wirkungsvollem Understatement und Tom Melito trommelt mit effizientem lebendigem Groove. Fazit: Auch eine Geschichtsstunde kann hinreißend anregen und lehrreich entspannen.