Harald Haerter Quartet – feat. Dewey Redman | 13.12.1997

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Jeder ist eben doch nicht beliebig ersetzbar. Und einer, den die Fachwelt seit Monaten beinahe hymnisch als Neuerer der Jazzgitarre preist, schon gar nicht. Die alte Weisheit kehrt sich manchmal arg schnell auf den Kopf, wenn aus der vermeintlichen Gunst der Stunde plötzlich wieder Not wird und es an allen Ecken und Enden in dicken Lettern im Raum schwebt: hier fehlt etwas! So kam es, daß der Schweizer Harald Haerter jüngst im Neuburger „Birdland“-Jazzclub zum großen Gewinner avancierte, ohne dort auch nur einen einzigen Ton gespielt zu haben.

Ein Phantom im Rampenlicht? Das überraschende krankheitsbedingte Fehlen des markanten Saitenzupfers im Hofapothekenkeller riß jedenfalls unübersehbare Lücken in das nach ihm benannte Quintett. Mit ursprünglich zwei Gitarristen sowie dem Tenorsaxophon-Denkmal Dewey Redman ausgestattet, schöpft die kürzlich beim Jazzfestival in Montreux gefeierte Combo für gewöhnlich ihre ganze Energie aus ihrer wiederstrebenden Sperrigkeit und kontruktivem bandinternen Clinch. Diesmal besaß sie zumindest im ersten Set jedoch die Beweglichkeit eines amputierten Torsos, wirkte introvertiert und bestätigte auf verhängnisvolle Weise sämtliche Negativurteile von modernem Jazz als schwer verdaulicher Kopfmusik.

Wie wohl die ganze Sache mit Haerter gelaufen wäre? Müßig zu spekulieren, schien doch Dewey Redman, dieser ungebrochen schillernde Eckpfeiler des Modern Jazz, der sich seinen dunklen, urwüchsigen, warmen Texasblueston in rauhen Loft-Sessions mit Ornette Coleman und Keith Jarrett nie verbiegen ließ, schlichtweg unterfordert. Redman blies einfach geschäftsmäßig routiniert und setzte dennoch die einzigen Akzente: in Monks „Trinkle Tinkle“, der Pflichtnummer aller Möchtegern-Avantgardisten, oder in einer rumpelnden Eigenkomposition mit dem seltsamen Namen „Muschi Muschi“.

Im Fußball erfolgt bei solchen Darbietungen zur Pause normalerweise eine gehörige Standpauke. Auch im „Birdland“ muß irgendjemand an die Berufsauffassung der Herren Musiker appelliert haben. Immerhin stillte die zweite Hälfte des Gigs zum Teil die hohe Erwartungshaltung. Philipp Schaufelberger, der die Chance, sich als einziger Gitarrist zu profilieren, leider ungenutzt ließ, setzte in Carlos Wards „Pettiford Bridge“ wenigstens einige schöne lyrisch-bluesige Phrasierungen, die jedoch zu oft an das große Vorbild Bill Frisell erinnerten. Der häufig überdreht wirkende Drummer Marcel Papaux besaß seine stärksten Momente in geschwinden Wechseln zwischen Shufflebeat, Funk und Bop, während sich Bassist Bänz Oester offenbar in ostinaten Figuren am wohlsten fühlt.

Auch Dewey Redman steigerte sich und distanzierte damit erneut seine Crew. Bei „Dewey`s Tune“ etwa drückte der Vater von Superstar Joshua Redman mit seiner humorvollen Mischung aus Groove und Free Playing sowie seiner unklischierten Improvisationskunst spürbar auf`s Gaspedal, während die Rhythmusgruppe schon wieder mit Bremsversuchen beschäftigt war. Für eine unfallfreie Rallye fehlte dem 66jährigen an diesem Abend eindeutig ein kongenialer Beifahrer.