Hans Huber – Helmut Nieberle Sextett | 05.10.2007

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Die hohe Kunst des Kontrapunkts auf’s Jazzsextett angewandt und dann dem swing Leine geben – so einfach ist’s, wenn’s klappt. Oft genug nicht, diesmal umso besser im Birdland beim Treffen von imaginärer Puderperücke und realem Groove alias Baroque meets Jazz, dem mittlerweile schon traditionellen Crossover-Event der Neuburger Barockkonzerte. Das Hans Huber – Helmut Nieberle Sextett zeigte, wie die Begegnung zweier gar nicht so weit auseinander liegender Kulturen zur friedlichen Assimilation beider gelingen kann, frei nach dem Motto „Before meets danach …“, wie der Eingangstitel verheißungsvoll verlautete.

Das schlagzeuglose Sextett um den Pianisten, Komponisten, Arrangeur Hans Huber und den Gitarrsten Helmut Nieberle zeichnet sich aus durch einen Westcoast-inspirierten Sound, runde Üppigkeit, warme Farben. Der Bläsersatz – Franziska Forster, Christoph Hörmann, Bob Rückerl – mit drei Saxophonen – Alt, Tenor, Bariton – bzw. Flöte, Klarinette, Bassklarinette ist so recht geeignet, die von Johann Sebastian Bach angeregten polyphon verflochtenen Linien auszuspielen, gleichwohl auch das Unisono des Bebop markant in den Raum zu setzen. Da passen eine Passaglia und eine Fuge in As-Dur aus der Feder Hans Hubers dann auch punktgenau zum „Local Blues“ George Shearings oder zu Harry Warrens wunderbarer Ballade „There Will Never Be Another You“.

Hubers ausgefeilte Kompositionen und Arrangements kreisen beileibe nicht allein um Heinrich Schütz und B-A-C-H, auch Romantik und Impressionismus, selbst ein Schönbergsches 12-Ton-Intermezzo kommen zu Wort in einem der gelungensten Brückenschläge zwischen klassischer und improvisierter Musik, die in der Reihe „Art Baroque“ bisher zu erleben waren. Keine verswingte Klassik, keine Alibi-Veranstaltung, in der ein Jazzmusiker zeigt, dass er auch der „ernsten“ Musik gewachsen ist, sondern der ehrliche und gelungene Versuch, die Klanglichkeit und Rhythmik des Jazz, seine spontane Improvisationslust und Augenblicksintensität mit der geschliffenen Raffinesse und opulenten Ornamentik des Barock zur Einheit der Gegensätze zusammenzusetzen – zu kom-ponieren im wahren Sinn des Wortes.

Helmut Nieberles „Reminiszenz“ geht den umgekehrten Weg vom Jazz zur Klassik, und so wie das original belassene Präludium aus der Lautensuite BWV 998 sich mit zwei Saxophonen, Gitarre und Wolfgang Krieners Bass völlig neu darstellt, gibt Gerry Muligans „Line For Lions“ Stoff zur Reflexion barocker Polyphonie. Und warum überhaupt nicht mal Charlie Parkers „Donna Lee“, einem der schlechthinnigen Klassiker des Bebop, zu Leibe rücken mit „obligatem basso continuo“? – Was „auf gut Deutsch ja nichts anderes heißt als walking bass“, wie Helmut Nieberle augenzwinkernd verrät.