Gypsy Today (Audi Forum Ingolstadt) | 13.10.2022

Donaukurier | Karl Leitner
 

Fulminanter und hoch­karätiger hätte das 12. Birdland Radio Jazz Festival kaum starten können als mit Gypsy Today im Audi Forum. Der Niederländer Stochelo Rosenberg an der Gitarre, Jermaine Landsberger aus Re­gensburg am Flügel, Darryl Hall aus Philadelphia am Kontrabass und André Ceccarelli aus Paris am Schlagzeug, das ist nicht nur innerhalb des Genres des Gypsy Swing eine Traumbesetzung.

Wobei die Bezeichnung Gypsy Swing ja eigentlich viel zu kurz greift. Freilich spielt auch dieses Quartett Stücke aus der Feder des großen Django Reinhardt, etwa dessen „Double Scotch“, das für sein Haustier, einen Affen, geschriebene „Anouman“ oder sein Aushängeschild „Nuages“ in der Zugabe, meist jedoch, ja sogar in den Stücken Reinhardts, schim­mert dieser einst einzige eigenständige europäische Beitrag zum Jazz nur noch durch, ist die Band längst unterwegs in Richtung Mainstream und Modern Jazz, greift Elemente des Bebop auf, lässt es sich – und dem Publikum – mit lockeren funky Latin-Grooves gut gehen, interpre­tiert Kurt Weill’s „September Song“, Pa­quito D’Rivera’s „Seresta“ und Nat Si­mon’s „Poinciana“ abseits ausgetrampel­ter Pfade und stellt jenen Eigenkomposi­tionen gegenüber, die mit den Vorlagen zusammen ein überaus rundes Bild erge­ben, in dem jede Nuance stimmt.

Natürlich gilt für die beiden Hauptsolis­ten Rosenberg und Landsberger ab und zu durchaus mal die Devise „Lasset Sai­ten und Tasten glühen“! – das gehört ganz unweigerlich mit zum Stallgeruch – aber gerade die ruhigeren Nummern, al­len voran „Made for Isaak“ und „Memo­ries For Bridget“, die Rosenberg seinen Kin­dern gewidmet hat, machen einen weite­ren entscheidenden Unterschied zu her­kömmlichen Ensmbles des Sinti Swing aus. Edel und makellos im Sound, mit immenser, deutlich sicht- und spür­barer Spielfreude und mit enormer Krea­tivität vermeiden sie das Erwartbare, nehmen sie sich den Inhalt des bislang einzigen Albums von 2020 vor, das heißt wie die Band selbst und ein Beleg dafür ist, dass sogar während des Lockdowns höchst Erfreuliches ge­schah.

Ist es sinnvoll, Höhepunkte eines Kon­zertes zu benennen, das in seiner Gänze bereits ein Höhepunkt des Konzertjahres ist? Landsbergers Titelsong wegen seiner schier unglaublichen Rasanz? Die Her­ren an Kontrabass und Schlagzeug we­gen ihrer absoluten Coolness auch im Hochgeschwindigkeitsmodus? Rosen­bergs blendende Fingertechnik, der die Landsbergers in nichts nachsteht? Dass der gut 90-minütige Auftritt auch vom Publikum gewürdigt werden würde, war vorauszusehen, dass der Applaus zwar höflich aber nicht eben enthusiastisch ausfiel, überrascht angesichts dieses tol­len Konzerts aber doch.

Das 12. Birdland Radio Jazz Festival, das mit sieben weiteren Konzerten im Club in der Neuburger Altstadt fortge­setzt wird und am 19. November seinen Abschluss findet, wird komplett vom Bayerischen Rundfunk aufgezeichnet. Roland Spiegel, der das Festival beim Sender betreut und das Konzert im Audi Forum moderierte, nannte auch gleich den Termin, an dem man den Auftritt von Gypsy Today im Radio nachhören kann: Freitag, 16. Dezember, um 23.05 auf BR Klassik.