Dameronia’s Legacy Allstar Octet
„New York Meets Europe“ | 14.10.2022

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Wann hat es das zuletzt auf der Bühne des Hofapothekenkellers gegeben? Fünf Bläser, die ganze Batterie: Alt-, Tenor- und Baritonsaxofon, dazu noch Trompete und Posaune plus Rhythmusgruppe. Dieses musikalische Powerpack nennt sich nicht etwas Big Band, sondern Oktett, fast die größte kleine Einheit, die der Jazz kennt. Alles zu Ehren eines ganz großen Komponisten und Pianisten, nämlich Tadley Ewing Peake, Spitzname „Tadd“ Dameron. Ist schon wirklich ein extrem schneidiger Bläsersatz, kraftvoll, scharfkantig, punktgenau, der das Publikum im wieder einmal proppenvollen Birdland-Jazzclub von Song zu Song mehr mitreißt! Und die Protagonisten sind nicht etwa wahllos zusammengewürfelte Musiker, sondern absolute Könner ihres Metiers, die eine tiefe transatlantische Freundschaft, aber auch die Liebe zu Tadd Dameron (1917-1965) verbindet.

Als „Dameroniaʼs Legacy Allstars“ begannen die acht im vergangenen Jahr, ihre verwegene Idee in die Tat umzusetzen, die schließlich im Audio Forum Ingolstadt mit einem Konzert für das damalige Birdland Radio Jazz Festival und nun mit der Veröffentlichung einer Live-CD dieses Abends ihren vorläufigen Höhepunkt fand. Es muss ja wirklich auch dokumentiert werden, wenn Weltstars wie der famose (und mittlerweile in Österreich lebende) US-Trompeter Jim Rotondi und sein Landsmann Dick Oatts am Altsaxofon gemeinsam mit dem jungen französischen Tenorsaxofonisten Jon Boutellier, dem Niederländer Rik van den Bergh am knorrigen Baritonsaxofon sowie dem in Wien lebenden deutschen Posaunisten Johannes Herrlich Damerons elektrisierende, dauerswingende Kompositionen für ihre Zwecke zurechtschneidern. In Stücken wie „In A Misty Night“, „The Scene Is Clean“ oder „Choose Now“ agiert Rotondi auf seiner Trompete wie ein wieselflinker Skalen-Kletterer, der die Schwerkraft scheinbar außer Kraft setzt und sich in „Mating Call“ mit Dick Oatts im rasenden Tempo duelliert, so, als säßen beide in einem Rennauto in Indianapolis.

Freilich: Ihre ganze Klasse demonstrieren Rotondi und Oatts erst in einem wunderschönen Balladenmedley nach der Pause, bei dem dieser klitzekleine, aber immer noch entscheidende Unterschied zwischen der alten und der neuen Jazzwelt offenkundig wird. Eine traumhafte, scheinbar genetisch verankerte Tongebung und ein intuitives Gefühl für genau die richtigen (wenigen) Töne in exakt der passenden Dosierung, von der extrem zuverlässigen Rhythmusgruppe um die beiden Italiener Andrea Pozza (Piano), Aldo Zunino (Kontrabass) sowie dem „Bandmotor“ und Birdland-Dauergast Bernd Reiter am Schlagzeug begleitet, erheben diese leisen zehn Minuten zu einem der intensivsten Momente des Konzertjahres 2022. Es sind aber auch diese uneitlen, kleinen solistischen Wunderwerke der anderen Bläser Rik van den Bergh, Jon Boutellier und Johannes Herrlich, die diesen Abend in seiner Intensität so wertvoll werden lassen.

Wer will, darf ein Stück wie „Look, Stop and Listen“ ruhig wörtlich nehmen: Innenhalten, zuhören – und die Fantasie schweifen lassen. Was wäre wohl gewesen, wenn eine Band wie diese in den späten 1950er Jahren existiert hätte? Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wäre sie ein veritables Kapitel für die Geschichtsbücher gewesen. Heute, im Zeitalter von veränderten Hörgewohnheiten, Downloads sowie Abermillionen von mehr oder weniger talentierten Jazzmusikern firmiert sie dagegen allerhöchstens als Geheimtipp. Auch recht. Man soll nicht hadern, alles nicht so verkniffen sehen, das Geheimnis um die „Dameroniaʼs Legacy Allstars“ weitertragen und einfach das Momentum genießen. Etwa wenn der Österreicher Reiter im besten Wiener Schmäh die Zugabe „Portrait“ anmoderiert: „Des spü ma deshoib, dass da Jon Boutellier sei Klarinetten eisetzen ka. Sonst ka erʼs a glei vabrenna!“ Ein Exempel dafür, dass niveauvolle Kunst in jeder Hinsicht auch unterhaltsam sein kann.