Geri Allen | 17.05.2014

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Wenn Geri Allen die Bühne betritt, eine der eigenständigsten und eigenwilligsten Piano-Ikonen des gegenwärtigen Jazz, ist vom ersten Ton an die Spannung mit Händen zu greifen. Die 56jährige, seit dreißig Jahren eine integrale Leitfigur der zeitgenössischen New Yorker Szene, widmete sich bei ihrem dritten Gastspiel im Neuburger Birdland der Musik ihrer ursprünglichen Heimatstadt Detroit. „Grand River Crossings“ heißt ihre aktuelle CD, und wie eine Überfahrt mutet auch ihre Musik an, mit aller Drift und Bewegung, mit Untiefen, Strudeln, querschlagenden Bugwellen und nur zuweilen auch ruhiger Fahrt.

Den Helden ihrer Kindheit gilt Geri Allens derzeitiges musikalisches Schaffen. „Wir Jazzmusiker spielen sehr oft die Standadrds aus den alten Broadway Shows, weil wir sie alle kennen und so sehr gut zusammen spielen können. Aber ich habe nicht in der Zeit gelebt, in der diese Standards entstanden sind. Die Motown Songs haben für mich eine viel höhere persönliche Unmittelbarkeit“, erläutert Allen die Auswahl der Songs. So spürt sie der Substanz und dem Groove der Songs von Motown nach, „Baby I Need Your Lovin‘“ von den Four Tops, Stevie Wonders „That Girl“, Frank Wilsons „Stoned Love“, Marvin Gayes „Inner City Blues“ oder Smokey Robinsons „Tears of a Clown“.

Geri Allen schafft es in zwei Solo-Sets den Spannungsbogen stets auf hohem Niveau zu halten, relativ einfache Riffs immer wieder zu drehen, zu wenden und bis in die Tiefe auszuloten. Im dritten Schritt einer pianistischen Trilogie der letzten Jahre richtet sie alle Aufmerksamkeit auf die musikalischen Vorlieben ihrer Jugend, nicht ohne auch ihrem Mentor Billy Taylor und damit indirekt Duke Ellington die Ehre zu erweisen.

Unglaublich variabel, vielgestaltig, flexibel und differenziert ist ihr sehr persönlicher Instrumentalstil. Kaum zu kategorisieren lässt ihre Pianistik puren Blues und das traditionelle Stride Piano ebenso aufscheinen wie die Sperrigkeit Thelonious Monks und den Drive des Bebop, die offensiven Dissonanzen und Cluster der wütenden 60er wie innige Lyrizismen, strahlend und in hymnischer Intensität auf der einen Seite, introvertiert und in geradezu erratisch abstrakter Reduktion auf der anderen. So verbindet sie die Fülle eines großzügigen Pedaleinsatzes mit fast abrupter Klarheit der Singlenotes, die in gläsern messerscharfem Anschlag den Raum durchschneiden und erfüllen zugleich. Selten gibt es so kurzweilige Musik auf so unmittelbar authentischem künstlerischem Niveau.