Manchmal muss man einfach nur Dusel haben, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort und Zeuge einer Situation sein, aus der heraus sich etwas wirklich Großes entwickeln könnte. Wer an diesem Abend im Birdland anwesend ist, sei es aus Zufall, aus Intuition oder weil ihm bereits beim Studium des Programmhefts derartiges schwante, könnte zu den Glücklichen gehören.
Die Pianistin Gee Hye Lee, der Kontrabassist Joel Locher und die Schlagzeugerin Mareike Wiening, die seit etlichen Jahren das Gee Hye Lee-Trio bilden, haben sich mit dem Tenorsaxofonisten Alexander „Sandi“ Kuhn und dem Trompeter Jakob Bänsch zwei Gäste mit an Bord geholt, das im März erscheinende Album „Encounters“ eingespielt und stellen es nun der Öffentlichkeit vor. Unter anderem im Birdland.
Fünf Bandleader, jeder für sich mit etlichen eigenen Veröffentlichungen im Gepäck, jeder auf dem besten Weg sich auch als Solist einen Namen zu machen, Musiker und Musikerinnen mit Lehraufträgen und Engagements in etlichen anderen Bands. Die fünf sind trotz ihres jugendlichen Alters – das Riesentalent Bänsch ist einen Tag vor dem Konzert gerade mal 22 geworden – längst keine Unbekannten mehr in der deutschen Jazzszene. Dass sie auch fünf Seelenverwandte, musikalische Freunde sind, wird schnell klar. Bänsch, von dem der New Yorker Kritiker Bill Milkowski sagt, er sei „eines der vielversprechendsten Talente seit Wynton Marsalis“, und Mareike Wiening, die auch schon in der Carnegie Hall auftrat und zusammen mit Eva Klesse die Riege junger Jazz-Drummerinen hierzulande anführt, agieren am auffälligsten, die Kollegen Locher, einer der gefragtesten Tieftöner der Szene, und Kuhn, der mit „Sangee“ und seinem warmen Ton die schönste Ballade des Abends beisteuert, folgen ihnen auf dem Fuß. Die Chefin am Flügel ist zwar bis auf zwei Standards für den kompletten Inhalt des künftigen Albums und damit des Konzerts verantwortlich und lenkt diesen denkwürdigen Abend, gesteht als Prima Inter Pares der Band jedoch alle Freiheiten zu. Ein kluger Schachzug, wenn man bedenkt, welche Kaliber da neben ihr noch auf der Bühne stehen. Dennoch bestimmt sie über ihre Stücke, in denen sie gerne kleine Geschehnisse aus dem Alltag akustisch kommentiert, das atmosphärische Flair. Das Ur-Trio spielt melodischen Jazz, der zugleich tiefgründig, leicht und schwebend wirkt, der von den Bläsern aktuell aber auch mal „aufgemotzt“ wird und dann an Fahrt aufnimmt. So wie etwa bei „Korea, Here We Come“ und „For Today“, während „A Letter To Her“, das Lee im Andenken an ihre Mutter geschrieben hat als intime Ballade daherkommt und „2nd“, das den 2. Advent thematisiert, mit federndem leichtem Swing-Groove punktet.
Erstaunlich ist, wie in sich geschlossen dieser Fünfer sich bereits in dieser frühen Phase seiner Existenz präsentiert, wie tight die Beteiligten agieren, mit welcher Präzision einer auf den anderen eingeht, wie sehr sich die Abläufe scheinbar wie von selbst entwickeln, auseinander hervorgehen, wie Nahtstellen verwischen, wie gut Lee und ihre Mannschaft aufeinander eingestimmt sind, sich sozusagen blind verstehen. Was für ein Potential liegt in jedem einzelnen dieser Musikerinnen und Musiker und in dieser Band. Wer dieses Konzert miterleben durfte, kann sich wahrlich glücklich schätzen.