Gayle – Booth – Turner | 27.02.2010

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Ein spindeldünner Mann im schon leicht ramponierten, zu kleinen schwarzen Anzug, das Saxophon an den Lippen mit einsamem melodischem Schrei wie aus dem Bilderbuch des Underground: Der Rufer in der Wüste der Big City, irgendwo an der Straßenecke, in der U-Bahn-Station, auf der Brücke. Nur dass es eben kein Klischee ist an diesem denkwürdigen Abend im Neuburger Jazzclub, sondern das echte Abenteuer. Mit Charles Gayle am Saxophon, Juini Booth am Bass und, da Sunny Murray krankheitshalber absagen musste, Roger Turner am Schlagzeug wartete ein Trio verwegener Freiheitskämpfer auf mit aller musikalischen Intensität, zu der die Free-Jazz-Renaissance nur fähig ist.

Ein spitzer, zuweilen aggressiver Sound, Überblasungen, Melodiefetzen, blitzschnelle Akkordschichtungen, der Klang der Metropole in ihrer düstersten Ecke, da wo sich Charles Gayle jahrelang als obdachloser Straßenmusiker mit seinem kompromisslosem, ekstatisch-freien Spiel durchgeschlagen hat! Darunter rollt und grollt der Bass Juini Booths, wühlt sich durch die Harmonien mit wuchtigem Groove, einem guten Schuss Blues und tranceartig pochendem Pulsschlag. Drauf, drunter, drüber und quer dazu Roger Turners Schlagzeug mit vielgestaltigen Rhythmen, einer Fülle von differenzierten Sounds, Kicks und Tricks, immerwährend brodelnde Gischt. Der Abend offenbart Charles Gayle dann noch als bemerkenswerten Pianisten, kantig und flüssig zugleich, ein bisschen verspielt, lyrisch, ironisch, zart beschwingt, intensiv und kraftvoll, in interessantem Kontrast zum rasanten Saxophon.

Nicht alles geschieht im Uptempo, immer wieder sind besinnliche, suchende Momente angesagt, in denen es ruhiger zugeht ohne freilich an Eindringlichkeit nachzulassen. Klar, irgendwie gehorcht auch jener Strang der Tradition, der seinerzeit als Free-Jazz jede Menge Fans verschreckte und aus den Sälen blies, seinen Regeln, Riten, Verabredungen und Gepflogenheiten. Man könnte das fast schon wieder ein bisschen altmodisch finden, konservativ, traditionsverbunden, unverbesserlich. Andererseits: Spannend ist die frei improvisierte Musik der Drei allemal, hebt sich markant und wohltuend vom Mainstream ab, fordert Ohr, Hirn und Herz heraus, fragt beharrlich und unverdrossen, wo der Zorn geblieben ist angesichts jener unübersehbaren Ungerechtigkeiten, die unsere Welt weit mehr prägen als Wohlstand und Genuss. Zu wenige sind es, die so fragen!