Gary Peacock – Ralph Towner | 21.01.2000

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Näher ranrücken. Nebengeräusche abstellen. Genauer hinhören. Erst dann kommen die unzähligen mikroskopischen Finessen ans Tageslicht, die Ralph Towner und Gary Peacock sorgsam unter einem Mantel von introvertierter Melancholie verborgen halten. In der immer beliebter werdenden Zusammenführung von akustischer Gitarre und Kontrabass setzen die beiden Amerikaner schon seit Anfang der 90er nahezu unerreichbare Maßstäbe. Im ausverkauften Neuburger „Birdland“ zog das hochkarätige Tandem nun eine weitere Richtschnur für die Konkurrenz: selten zuvor nämlich herrschte bei einem derart leisen Konzert eine derart relaxte Stimmung.

Holz trifft auf Holz, produziert fingerhutgroße Lyrismen, humane Schwingungen, unsentimentale Emotionalität, vertraute Atmosphäre. Das Duo Towner/Peacock hat es in keiner Phase nötig, mit paukenschlagartigen Aha-Effekten um Aufmerksamkeit zu heischen. Es atmet ruhig, entspannt, konzentriert und synchron, inhaliert genüsslich den Klang seiner (nicht immer unverstärkten) Resonanzkörper. Durch Ralph Towners klassische Note auf der zwölfsaitigen Gitarre sowie Gary Peacocks wundersam dunkle, oft an Scott La Faro erinnernde Basslinien entsteht ein ganz spezieller Raum für Akustik, in dem sich divergierende Bilder von karger Eleganz und tiefgreifender Wehmut assoziieren lassen.

Das ideale Refugium für die Fanatiker der kultivierten Depression? Mitnichten! Die beiden Sternengucker mit der respekteinflößenden Legendenaura evozieren Stimmen und Stimmungen, verknüpfen mittelalterliche Tanzmusik aus der alten Welt mit orientalischen Ideen und klassischen Elementen, führen sie zu den Wurzeln der Folklore, wo alles einfach nur Klang ist, durchmischt mit atemloser Stille, um dann plötzlich in der Peacock-Komposition „Moor“ einen düsteren, glitschigen Sumpf mit lauter Irrlichtern zu betreten, aus dem es selbst für die Hörenden niemals eine Garantie auf sichere Rückkehr gibt.

Ralph Towner, dieses absolute Muss unter all den wissbegierigen Gitarren-Freaks, dieser Meister der Andeutungen, der Reduktion auf Kerngehalte, der Abstraktion, zupft einzelne Noten mit der rechten Hand und tupft Töne auf dem Steg mit den Fingern der Linken. Manchmal scheint es, als übertrage der 60jährige die Spielweise des Klaviers auf die Saiten – ein bisschen Villa-Lobos, aber von der Farbigkeit doch mehr wie der große Pianist Bill Evans. Gary Peacock, diese ästhetische Norm am Kontrabass seit den wilden Tagen der New Yorker Avantgarde, liefert dem staunenden Publikum eine atemberaubende Lektion in linearer Denkweise: immer mit einem ganz bestimmten Ton flirten, ihn beliebig virtuos verändern und dabei stets Ableitungen auf andere Töne suchen.

Die Tuchfühlung zum reinen Jazz geht auf diesem Flug der Hohlräume zeitweilig verloren, obwohl ein Titel wie „Beppo“ pfiffig boppt und „Creeper“ durch Free-Gefilde streunt. Aber Komposition ersetzt bei Towner/Peacock zunehmend Improvisation, das Arrangement wirkt wie ein längst verinnerlichtes Agreement zweier Sound-Fetischisten, die das Risiko eines solchen Abenteuertrips inzwischen gerne kontrollieren möchten. Keine Frage des Alters, sondern eines gereiften Standpunktes: die Stilgrenzen fallen und bieten wieder Platz für große Musik.