Immer wenn von „bekömmlichem“ Jazz die Rede ist, wird’s gefährlich. Der Kunde (Hörer) meint damit ganz offenbar einschmeichelnde Harmonien und nachvollziehbares solistisches Handwerk in wohl dosierter Lautstärke, wenig fordernd, dafür um so flauschiger durch die Gehörgänge rauschend: Die Jazz Light als Geräuschkulisse für den trockenen Martini und den relaxten Small Talk.
Dissonanzen, Synkopen, Cluster und ruckartige Tempiwechsel – das Salz in dieser expermientierfreudigen Musiksuppe – verunsichern dagegen bis heute mehr, als die Phantasie anzuregen. Insofern birgt ein Konzert mit den „drei größten deutschen Romantikern“ (Programmtext) im Neuburger „Birdland“-Jazzclub, dem viele auch noch hurtig das Etikett „Kammerjazz“ aufpappen wollen, jede Menge Missverständnisse unter der erwartungsfrohen Oberfläche. Denn Wolfgang Lackerschmid (Vibrafon), Stephan Holstein (Klarinette, Altsaxofon) und Walter Lang (Piano), die sich für ihr gemeinsames Projekt ausgerechnet den trügerischen Namen „Full Moon Trio“ gaben, haben in Wirklichkeit mit der populistischen Caféhaus-Nummer wenig am Hut.
Vielmehr trachten sie danach, eigene und fremde Themen in einem überschaubaren Kontext zur vollen Entfaltung zu bringen. Weil alle drei aufeinander hören, jeder instinktiv mit den Impulsen des anderen seinen eigenen Kreativitätsakku auflädt, gelingt es ihnen, bei tausendfach gespielten Standards wie nicht auf Nimmerwiedersehen durch die Hintertür der Beliebigkeit durchzurutschen.
Die kunstvolle Reibung der Extreme: Lackerschmid konstruierte mit seiner Vier-Schlegel-Technik weite, geschwungene Melodiebögen voller innerer Symmetrie („Sarah`s Bande) und löste sich damit eindrucksvoll von den mechanischen Beschränkungen seines Instrumentes. Manchmal schien es, als würde der Wahl-Augsburger, der sich als Dauerpartner von Chet Baker und Attila Zoller einen Namen machte, in expressiver Schwerelosigkeit über die Klangstäbe fliegen, getragen vom einmal mehr atemberaubend nuancierten Klarinettenton Holsteins. Freilich überraschte der 37-Jährige an diesem Abend noch weitaus mehr an seinem eigentlichen Zweitinstrument, dem Altsaxofon, das gerade in Balladen wie „My one and only Love“ eine selten verspürte gleißende Wärme in den atemlosen Hofapothekenkeller schickte.
Impressionistische Kleckse und die vielleicht spannendsten Kompositionen kamen an diesem heimeligen Abend von Walter Lang. Allein für „Pensao Central“, dessen soulige Nummer mit den elektrisierend repetitiven Pianopatterns, der geheimnisvoll dahin brummelnden Bass-Klarinette und den munter tanzenden Klöppeln, das frische, ohrwurmtaugliche „D. H.“ oder das dezent avantgardistisch eingefärbte „There`s no greater Lunch“ hätte sich der Mitschnitt, aus dem die nächste CD der Reihe „Live at Birdland“ entstehen soll, allemal rentiert.
Das Publikum jedenfalls dankte dem „Full Moon Trio“ seinen Mut, zweieinhalb Stunden lang über den eigenen Schatten zu springen, mit einer der intensivsten Beifallsbekundungen in der bald zehnjährigen Geschichte des Neuburger Jazzkellers.