Full Moon Trio | 13.12.2003

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Metamorphosen zu beobachten gehört zu den spannendsten Dingen in der Musik. Und die des Full Moon Trios geht sogar noch über den üblichen Veränderungsgedanken hinaus.

Im Gegensatz zu jenem Konzert vor fast genau drei Jahren an gleicher Stelle, das auch für eine überaus erfolgreiche CD dokumentiert wurde, haben sich Stephan Holstein, Walter Lang und Wolfgang Lackerschmid nicht etwa eine zweite Haut zugelegt. Bei ihrem Wiedersehen im Neuburger „Birdland“-Jazzclub entledigen sie sich vielmehr ihrer alten Schutzhülle, geben sich offener, durchsichtiger, selbstironischer. Dies ermöglicht den freien Blick auf einen der virtuosesten Versuche aktueller deutscher Improvisationskunst, der geschickt auf der gedachten Trennlinie zwischen Swing, Ballade, Avantgarde, Kammermusik, Jimmy Giuffre, Bill Evans und Bobby Hutcherson entlang balanciert.

Erste Überraschung: Gassenhauer aus dem Great American Songbook, die immer ein wenig den Ruch der Beliebigkeit verbreiten, gibt es nur noch sporadisch. Dafür zimmern sich Vibrafonist Lackerschmid, Klarinettist/Altsaxofonist Holstein und Pianist Lang ihre Titel nun nach eigenem Gusto zurecht. „Four Notes“ heißen diese, was Lackerschmid – nomen est omen – aus gegebener Aktualität verschmitzt als „Sparmaßnahme“ verkauft, „März 99“ oder „Kakerlakensong“.

Vor allem letzterer versetzt das hingerissene Publikum in Laune: Ein herrlich schrulliges Relikt aus dem Leben eines Musikers, in dem Hotelzimmer gerade im Ausland manchmal nicht unbedingt den üblichen Standards entsprechen. Holstein verleiht der Oberkakerlake eine Stimme, in dem er auf der Bassklarinette stoisch grunzend die Wände auf und ab klettert. Natürlich kann die Extraklasse der drei Instrumentalisten ihre treuen Fans nicht wirklich überraschen. Aber die Art, wie etwa Lang ein Thema wie „Daily Rose“ auf den 88 Tasten von innen nach außen kehrt oder Lackerschmid in „Impression“ gegenläufige symmetrische Bögen am Vibrafon erzeugt, ist tatsächlich etwas Neues. Die zweite Überraschung, weil sie einen weiteren Schritt ihrer sowieso schon bemerkenswerten musikalischen Entwicklung darstellt.

Evolution durch Freiheit. Der Spaß am Herumprobieren, am Unerwarteten verleiht dieser phänomenalen Combo Flügel. Gerade weil die drei allenfalls in unregelmäßigen Abständen zusammenkommen, so gut wie nie proben, aber doch intuitiv fühlen, wie der andere reagiert, haben sie eine Unbefangenheit im Umgang miteinander entwickelt, die im europäischen Jazz mittlerweile ohne Beispiel dasteht. Das ist die dritte und gleichzeitig beeindruckendste Überraschung: Gleichberechtigung verkommt im Full Moon Trio niemals zur leeren Wortphrase, sondern erlangt mit jedem Ton, selbst in Soli ihren längst verloren geglaubten Sinn zurück.

33,33 Prozent Anteil trägt jeder am Zustandekommen eines der schönsten Konzerte dieses Jahres, in dem Stephan Holstein, Walter Lang und Wolfgang Lackerschmid natürlich auch Weihnachtliches hineinpacken und ganz leise, verschmitzt und überzeugend den Schnee im Hofapothekenkeller rieseln lassen. Dass bei so viel klingender Magie draußen aber nur der Regen hernieder prasselt, überrascht ebenfalls. Ins Gewicht fällt es aber nach drei Zugaben längst nicht mehr.