Frank Harrison – Davide Petrocce Trio feat. Joo Kraus | 30.10.2010

Neuburger Rundschau | Barbara Sagel
 

Perlende Töne, zarte Läufe mit der rechten Hand. Frank Harrison sitzt am Flügel im Birdland. Den Zuhörer trägt die Musik davon. Dann setzt die linke Hand des Brightoner Pianisten einen Akkord. Ein schmerzhaft schöner Moment der Spannung. Aus den perlenden, meditativen Klängen wird Jazz. Der Zuhörer kehrt zurück ins Hier und Jetzt. Stephen Keogh am Schlagzeug wird vom sensiblen, beckenstreichelnden Begleiter zum rhythmischen Impulsgeber. Der Groove beginnt. Der Bass tritt in den Vordergrund. Davide Petrocca lässt sein Instrument sprechen. Es erzählt von den melodischen Möglichkeiten, die der vorgegebene harmonische Rahmen bietet. Es verlässt seine Rolle als Begleitinstrument, als Teil der Rhythm-Section. Der in München lebende Italiener Petrocca macht in spielerischen, schnellen Läufen am Kontrabass deutlich, was mit Virtuosität aus diesem scheinbar so behäbigen Klangkörper an Leichtigkeit und Finesse zu holen ist. Joo Kraus betritt die Bühne. Er bereichert das Trio mit Trompete und Flügelhorn um jeweils ein weiteres, spannendes Element. Der Mann aus Ulm fügt sich hervorragend ein. Warme, weiche Töne. Lange, vibratolose Töne. „Es ist Ihnen sicher nicht entgangen, dass unsere Stücke meistens melancholisch sind“, wendet sich Petrocca an das zahlreich anwesende Publikum. Und diese Melancholie findet ihren vorläufigen Höhepunkt, als Joo Kraus sich als Sänger des italienischen Titels „Estate“ betätigt. Gehauchte Töne, gerade Töne. Wie er spielt, so singt Joo Kraus, greift zur Trompete und setzt die Stimmung eins zu eins fort. Da muss ein Kontrast folgen. Up-Tempo-Swing. Durchmarschierender Bass, Drumsolo. Der Ire Keogh setzt dabei hörbar gerne die Bass-Drum ein. Ride- und Crashbecken  erklingen ungewöhnlich dezent aber effektiv. Die Snare dafür etwas kräftiger. Es rollt, und zwar ungemein. Joo Kraus verkürzt die Länge seiner weichen Töne zugunsten einer wesentlich höheren Anzahl derselben. Frank Harrison zeigt, dass er neben der Träumerei auch energiegeladen auf den Punkt spielen kann. Die Sache endet überraschend entspannt und ebnet so den Übergang zum nächsten Stück, das Davide Petrocca dem von ihm sehr geschätzten, 2005 verstorbenen, dänischen Bassisten Nils-Henning Orsted Pedersen gewidmet hat. Der Titel „Wehmut“ lässt wohl keine Fragen nach der vorherrschenden Gemütslage auch in diesem Werk aufkommen. Als Zugabe Jobim. Die Trompete präsentiert das Thema, lässt den letzten Ton im Raum verhallen. Atemlose, spannungsreiche, akustische Leere. Das geniale Nichts. Gemeinsamer Wiedereinstieg. Erlösung. Das perlende Piano, der singende Bass. Schön.