Ferenc Snetberger Trio | 21.01.2005

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Sanft, fast berührungslos streicht Arild Andersen über die Saiten, und es hat den Anschein, als erklänge am anderen Ende der Schlucht eine traurige Fanfare. Hall, Nebel, Nässe, Einsamkeit – ein eindringlicher, ein gespenstischer Sound. Dann klappert Paolo Vinaccia, dieser wunderbar normale, funktionale Schlagwerker, mit seinem roten Besen: Eine Schar finsterer Reiter auf ihrem Weg ins Niemandsland. Und schließlich Ferenc Snétberger, der allerorten hymnisch gepriesene Wundergitarrist: Er koloriert den Tanz der Luftgeister mit kleinen, flirrenden akustischen Blitzen. Eine Traumwelt abseits aller Realität, die der Norweger, der Italiener und der Ungar da im Neuburger „Birdland“-Jazzclub betreten. Und der Beweis, dass sich jeder selbst begrenzt, der noch in Stilgrenzen verharrt.

In den üblichen Schemata würde das grandiose Euro-Trio möglicherweise unter „nordisch“ abgelegt. Aber was bedeutet das schon? Eine moderne Adaption norwegischer Volkslieder? Edvard Grieg goes Swing? Oder Jan Garbarek für Fortgeschrittene? Die Wahrheit liegt in der gebündelten Weisheit der Musiker, ihrer stilistischen Unabhängigkeit, die sich als Treppe zu einem anderen Bewusstseinslevel erweist. Dieser eine, runde 20 Minuten dauernde Ritt durch die Extreme kurz nach der Pause hat alles, was der Konzeptmusik des 21. Jahrhunderts normalerweise fehlt: spontane Reaktionen, überraschende Wendungen, rasante dramaturgische Verschiebungen. Er reicht von ruhigen, fast meditativen Passagen, einem Blick in eine längst vergangene Zeit, bis zu dem, was man früher einmal Freejazz nannte; einer fast apokalyptischen Zukunftsvision.

Doch es geht auch anders, Nächstes Stück, andere Sequenz: Ein Spaziergang am Meer, glutrote Abendsonne, mildes Klima, keine Störungen. Snétbergers Gitarre rieselt wie feiner Sand, Vinaccia lässt seine Perkussionbatterie gleichmäßig ticken und Andersens Bass singt leise Melodien. Ein Gleichklang der Gefühle, keine Höhe- und auch keine Tiefpunkte. Die Stunden verrinnen, bis die Uhr schließlich stehen bleibt und alles in einem Vakuum aus Raum und Zeit zu schweben beginnt. Es folgt gesampeltes Beckenkratzen und gläserne Läufe, die einen guten Soundtrack für eine Geisterdschunke geben würden, wenn sie durchs bewegungslose Wasser gleitet.

Die drei suchen den Weg über die Sinne, berühren die Emotionen und lassen Musik auf diese Weise für jeden greifbar werden. Der gesamte Abend ist sowohl für Snétberger, Andersen und Vinaccia wie das Publikum ein Abenteuer in mehreren Facetten. Und sie geben sich Raum, achten und jagen einander. Keiner kennt die Richtung, jeder aber das Ziel. Exemplarisch dafür steht die zweite, heftigst geforderte Zugabe, ein wehrloses Opfer des Augenblicks.

Eine Ansammlung von scheinbar achtlos hingeworfenen Rock-Riffs, die der Norweger wie Felsbrocken auftürmt, der Ungar mit luftigen Bluesgriffen verstärkt, bis sie der Italiener mit fröhlichen Handklatschen, –reiben und –pusten in so etwas ähnliches wie Bebop auflöst. Oder war es vielleicht doch eine Polka? An einem Abend mit so viel gerade erst neu entdeckter, offener Musik muss dies nun wirklich niemand mehr so genau wissen.