European Jazz Quintet | 03.10.2003

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Vor allem Europäer spielen Coltrane. Das tun sie seit über 30 Jahren: ehrfürchtig, beharrlich, gründlich. Ganze Heerscharen von Saxofonisten aus der alten Welt haben den Einfluss des Jazz-Übervaters mit der Muttermilch aufgesogen und das stupide Üben immer gleicher Skalenfolgen zu einer seltsamen Form von Kulturmasochismus erhoben.

Coltrane, der Allzeit-Progressive, das schwarze Schaf unter den wohlgefälligen Swingern, Bluesern und Funkern, hat auch jene Generation geprägt, der Alan Skidmore, Gerd Dudek, Rob van den Broeck, Ali Haurand und (bedingt) Christoph Hillmann angehören. Musiker, die ihr Handwerk von jeher als politisches Manifest begriffen. Eine außerparlamentarische Jazz-Opposition, ein Gegenentwurf zur konservativen Sicht der Dinge; provokant, langhaarig, aufmüpfig, frei.

So gesehen war es fast schon wieder Nostalgie, was die fünf in die Jahre gekommenen Herren da unter dem Mantel „European Jazz Quintet“ und dem Themenspektrum „Tribute to John Coltrane“ im Neuburger „Birdland“-Jazzclub zelebrierten. Ein Programm, das die Fans noch vor drei Jahrzehnten elektrisiert hätte, inzwischen bloß durch gestochene, handwerklich tadellose Ausführung überzeugt, während seine Botschaft längst verklungen ist.

Da passt es, dass der fernseherfahrene Bassist Ali Haurand auch im Hofapothekenkeller einen seiner gefürchteten Vorträge hält, mit denen er allen beweisen will, wie viel er über Jazz weiß und wen er alles kennen gelernt hat. Coltrane natürlich auch. Genauso selbstverliebt mischt sich Haurand mit seinem Bass in intime Monologe wie das wunderschöne Tenorsaxofonsolo von Gerd Dudek in „Say it“ ein. „Impressions“ darf er gar eröffnen und wie ein Pfau einherschreiten, oft direkt in den Spuren von Tranes Tieftöner Jimmy Garrison. Überhaupt klingen die meisten Tunes an diesem Abend wie geschickt angelegte Blaupausen des Originals – mit einigen Ausnahmen.

Die Edelballade „Every Time we say Goodbye“ beginnt zwar, als wäre sie Eins zu Eins von der Platte adaptiert. Dann aber bläst Dudek am Soprano mit einem Mal wie Dudek und nicht wie ein Coltrane-Klon. In solchen, leider spärlich gesäten Momenten bekommt die Allianz europäischer Jazzmusiker automatisch Drive und Originalität, weil bei einem Teil der Combo wenigstens der Wille hörbar wird, das heilige Revolutionsdenkmal zu entstauben. Alan Skidmore etwa, der brillante englische Tenorsaxofonist, hat „seinen“ Coltrane gerade in erzählenden Passagen spürbar weiterentwickelt. Manchmal verwendet er interessante Klangfarben aus der afrikanischen, der indischen, der morgenländischen Kultur, fällt dann aber doch wieder auf die sattsam bekannten chromatischen Überwucherungen und Akkordschichtungen zurück.

Selbst Schlagzeuger Christoph Hillmann, eines der größten deutschen Talente, kennt Coltranes Drummer Elvin Jones aus dem Effeff, zieht sich aber durch viele eigenständige Ideen und überraschende rhythmische Figuren selbst aus dem Sumpf. Pianist Rob van den Broeck dagegen bleibt jeglichen Akzent und selbst eine gewisse Nähe zu McCoy Tyner schuldig.

Dass die Band wohlweislich die schwer verdauliche Freephase des Vorbildes ausspart, beweist die ganze Widersprüchlichkeit solch ambitionierter Reminiszenzen. Denn Coltrane heute in den Mittelpunkt eines Jazzkonzertes zu stellen, das ist genauso, als würden die Alt-68er wieder ihre Lederjacken aus dem Schrank kramen, sich in ihre viel zu eng gewordene Jeans zwängen und den Käfer aus der Garage holen. Noch einmal jung sein, für 120 Minuten. Wissen die Alten eigentlich, wie spießig das ist?