(Audi Forum Ingolstadt)
Seit 30 Jahren gibt es das European Jazz Ensemble, eine moderne Big Band, die sich grenzenlose Musikalität auf die Fahnen geschrieben hat, durchaus politisch ambitioniert und künstlerisch konsequent, im Spiel mal rasiermesserscharf, mal seidenweich gedämpft. Die um einen harten Kern herum wechselnden Besetzungen repräsentierten und repräsentieren den Stand der Dinge in Europa. Der kann sich wahrlich sehen lassen in einer Formation, die vier Jazzergenerationen im Alter von 24 bis 83 vereint. Das Publikum im Ingolstädter Audiforum jedenfalls war auch für die modernere Variante des Jazz mit Begeisterung zu haben.
Musik war schon immer eine universelle Sprache. Tummelplatz der alten Meister war der ganze Kontinent, lokale Traditionen lebten seit je in stetem Austausch. Man denke z.B. nur an der Italiener Biaggio Marini, der am Hofe Ottheinrichs in Neuburg an der Donau tätig war. Nationale Traditionen entwickelten sich erst später, immer jedoch blieben die Grenzen der Kunst und der Musik offener, neugieriger und durchlässiger als die der restlichen Weltgeschichte. Welche Musik nun würde sich besser eignen Grenzen zu überwinden als der Jazz, jener Schmelztiegel weltweit amalgamierter Einflüsse schon von seinem Ursprung her? Und so ergibt sich mit dem European Jazz Ensemble eine merkwürdig ambivalente Entwicklung: Einerseits wuchs zusammen, was zusammengehört über Mauer und Grenzen hinweg, fand und findet Verständigung und Gemeinschaft, mausert sich gleichzeitig – zweitens – zur Identität einer europäischen Jazztradition, die sich mehr und mehr vom großen Bruder überm großen Teich emanzipiert. Namen wie der des Trompeters Manfred Schoof stehen für solche Eigenständigkeit der europäischen Jazz, des deutschen Saxophonisten Gerd Dudek, des tschechischen Flötisten Jiri Stivin, des bis zu deren Ende gegen die Repressionen in der DDR anmusizierenden Posaunisten Conny Bauer, des französischen Bassisten Sebastian Boisseau, der englischen Saxophonisten Alan Skidmore und Stan Sulzman sowie ihres Landsmanns Tony Levin am Schlagzeug, des Pianisten Rob van den Broek, der Trompeter Eric Vloeimans aus den Niederlanden, Pino Minafras aus Italien sowie des jungen Matthias Schriefel. Zusammengehalten wird das gesamteuropäische Gebilde von dem unermüdlichen Ali Haurand, dem es immer wieder gelingt, die Großen des Genres für das Ensemble zu begeistern. Eine kleine Sensation in Ingolstadt war das Mitwirken des Pianisten Joachim Kühn. Der Mann, der wie wohl kein anderer seiner Generation den europäischen Jazz weltweit und kosmopolitisch zu repräsentieren vermag, der auf dem ganzen Planeten höchstes Ansehen genießt, trug Kompositionen bei, dirigierte, identifizierte sich sichtlich und freudvoll mit dem Projekt. Im Trio wie mit der ganzen Band ließ er seine schier unglaubliche Pianistik hören. Die verfügt in virtuosem Spiel über eine harmonische Souveränität und einen melodischen Ideenreichtum sondersgleichen. „Black Widow“ aus Kühns Feder sorgte denn auch für den Höhepunkt eines Abends, der wirkte wie eine musikalische EU.