Doch, der Mann hat was! Eine Aura voller guter Laune, einen feinen Sinn für Humor. Und einen Ton, der vieles beinhaltet: die Großen seines Instrumentes wie Lester Young, Stan Getz, Sonny Rollins und vor allem John Coltrane. Ernie Wattsʼ Vielseitigkeit, die ihn im zurückliegenden halben Jahrhundert zu einem der begehrtesten Saxofonisten des Planeten aufsteigen ließ, seine variantenreiche Tonsprache, die Soundtracks wie „Die Farbe Lila“, „Ghostbusters“ oder „Tootsie“ veredelte und seine Anpassungsfähigkeit, mit der die Rolling Stones, Paul McCartney und Franz Zappa in den Jazzhimmel hob und mehrere Grammys einbrachte – all dies verleiht ihn den Rang eines musizierenden Chamäleons.
Der 79-jährige, topfitte amerikanische Tenorsaxofonist verfügt über einen relativ eigenständigen und -willigen Alleskönner-Ton. Nicht zu verwechseln mit einem Allerweltston. Und bei seinem Wiedersehen nach 13 Jahren im proppenvollen und einmal mehr im unwiderstehlichen Jazzclub-Flair vibrierenden Birdland weiß er ganz genau, was geht, und was er besser bleiben lässt, und welcher Ansatz zu welchen Stück passt, um damit die optimale Wirkung zu erzielen. Natürlich ist das Ganze auch Show, aber eine richtig gute! Kein routiniertes Abreißen eines zigfach erprobten Programms, sondern authentischer Spaß auf der Bühne, der sich schon nach wenigen Takten eins zu eins auf das Publikum überträgt.
Natürlich geht es auch um die Auswahl der richtigen Themen, mit denen man die Leute „fangen“ kann, um wenige Nuancen, Noten, Abstufungen in den Höhen, mit denen Watts durch sein Mundstück singt. Er balanciert leicht auf diesem schmalen Grat zwischen hoher Kunst, plumpem Kitsch und nervtötendem Geklingel, ohne ihn dabei zu einer Sekunde zu verlassen. Jedes Stück ein anderer Ansatz, ein vermeintlich in die Irre führendes Intro. „I Mean You“ rumpelt bei ihm nicht wie im Original bei Meister Monk, sondern schiebt mächtig nach vorne. Das melancholische „Con Alma“ von Ex-Partner Dizzy Gillespie eröffnet mit einem modalen Ausritt, dass man ein nachfolgendes Freejazz-Inferno befürchten könnte, bis das flatternde Saxofon von der hin und her rutschenden Skalenwippe langsam in bekannte, harmonische Gefilde hinübergleitet. Ganz zu schweigen von dem entrückten „Danny Boy“, dem Prototyp einer Ballade. In trügerischer Sicherheit sollte sich bei diesem Ernie Watts keiner wiegen…
Seine besten Momente hat das Konzert, wenn der Chef mit dem unglaublich flinken, wuseligen Drummer Heinrich Köbberling und dem stets unterschätzten, beseelten Bassisten Rudi Engel als fast perfekt aufeinander abgestimmtes Saxofontrio auftrumpft. Keine leichte Aufgabe für den eigentlich wunderbar lyrisch agierenden Pianisten Christoph Sänger, weil man sich an dessen Stelle manchmal schon einen etwas eckigeren, kantigeren Tastendrücker gewünscht hätte. Denn Ernie Watts mag an diesem Tag partout keinen Wohlklang, sondern geht ganz bewusst ins Adrenalin. Attacke! In seiner brandneuen Komposition „Angelʼs Flight“ zerrt er den kollektiven Vogel immer wieder in jene Bereiche, in denen die Luft knapp wird – aber nicht bei ihm, dem ewig Jugendlichen mit der Pferdelunge. Die beste Nummer folgt dann, heftig von den Fans erklatscht, als Zugabe: Ein rattenscharfes „Killer Joe“. Mit seiner wohlformulierten Ansage gerät das lässige Groove-Monster zu einer würdevollen und extrem kraftvoll vibrierenden Hommage auf zwei erst in den vergangenen Tagen verstorbene Ikonen des „alten“ Jazz, nämlich dessen Komponist Benny Golson und Arrangeur Quincy Jones. Nun darf Ernie, der Wandelbare, also ihre Fackel weitertrtagen und dabei so vital und unternehmungslustig klingen, als habe er die Kraft und Power beider Giganten absorbiert. Schon allein das ist eine Kunst für sich.