Es muss einen Grund geben, warum ihn Jazzlegenden wie Dexter Gordon, Albert Mangelsdorff und Heinz Sauer ihren Lieblingspianisten nannten. Gleichwohl muss es aber auch einen Grund dafür geben, warum Bob Degen bis zum heutigen Tag nie über den Status eines Geheimtipps hinausgekommen ist. Beide Antworten finden sich gut versteckt in jenen zwei Stunden, in denen der mittlerweile 80-jährige Tastenvirtuose mit seinem Trio dem Birdland-Jazzclub seine Aufwartung macht.
Der in Pennsylvania geborene und seit Jahrzehnten in der Nähe von Frankfurt lebende Degen weiß in Neuburg von jeher eine stabile Fanschar hinter sich, die ihn bei seiner Rückkehr an die Donau ebenso aufmerksam wie frenetisch begleitet, so wie man es von seinen bisherigen Besuchen her kannte. Für ihn eher die Ausnahme der Regel. Ansonsten hat sich kaum etwas verändert gegenüber dem bislang letzten Mal, bei dem er als Leader im Hofapothekenkeller Station machte. Der Mann wirkt von der äußeren Erscheinung her immer noch wie ein – mittlerweile pensionierter – Finanzbeamter, der krasse Gegenentwurf eines Medientypen, unscheinbar, bieder, bescheiden, fast scheu. Einen Jazzmusiker stellt man sich anders vor. Seine fast chronische Verweigerungshaltung gegenüber den Spielregeln des Business versperrte ihm bislang die längst fällige Anerkennung. Und seine Kompositionen bilden ein Füllhorn an Adjektiven, die Normalsterbliche wahrscheinlich eher von einem Jazzclubbesuch abhalten würden: spröde, gläsern, verwinkelt, melancholisch, poetisch, komplex, mitunter auch völlig simpel. Aber in seiner unendlichen Tiefe wunderschön. Als würde Rainer Maria Rilke Klavier spielen.
Der große Pianist mit dem kleinen Namen versucht bei jeder Gelegenheit, eine Tür zu einem sorgsam gehüteten ästhetischen Reich aufzustoßen. Selbst beim Sinnieren über Songs des Great American Songbook wie „Played Twice“ von Thelonious Monk darf man eine höchst eigenständige, völlig abseits dröger Konventionen schwebende Form der Interpretation bestaunen. Denn Degen klimpert nicht bloß Standards nach ihren vorgegebenen Noten herunter. Eigene Kompositionen wie „Soliloqui“, die wie ein schlafender Drache zunächst auf größtmögliche Distanz achten, aber mit jeder Sekunde weiterwachsen, taucht er gemeinsam mit dem etwas zu dominanten, etwas übermotiviert lauten Drummer Peter Perfido und Thomas Stabenow, dem kurzfristig eingesprungen delikaten Linienforscher am Kontrabass, in eine andere Tonart. Sie ist tiefblau, impressionistisch, blueslastig und trägt die Hitze des Südens bis in die letzte Sitzreihe.
Manchmal wirkt es fast, als führe Bob Degen Selbstgespräche am Flügel. Aus gutem Grund möchte man meinen. Denn bevor ein Mitspieler seine Gedankengänge stören könnte, fügt er lieber eigene hinzu und tritt so in einen fruchtbaren Dialog mit sich selbst. Und dennoch braucht er sie, wie eine Seilschaft bei der Gipfelbesteigung. Die Augen hat er stets auf die Noten und die Tasten gerichtet, aber die Ohren sind spitz und offen für jedes zugkräftige Klangargument von Stabenow und Perfido. Er ist der Anreger, Impulsgeber, musikalischer Stabilisator und Träumer in einem. Jemand, der nie das Rampenlicht suchte, sondern seiner Fantasie viel lieber unbeobachtet die Sporen gibt. Deshalb fühlt er sich im familiären Milieu des Hofapothekenkellers auch so wohl. Hier darf er sein, wie er ist, hier verstehen sie seine zarten Lyrismen, seine riskanten, hornähnliche Linien. Niemand fordert hier etwas von ihm. Höchstens ein oder zwei Zugaben, mit jeder Menge Applaus aufrichtig erbeten. Immer wieder gerne – von Bob Degen!