Es klingt simpel, beinahe schon unverschämt banal. Ein Hauch von Simon & Garfunkels „Mr. Robinson“, ein paar Akkorde von „Rastaman Vibration“ und immer wieder dieser monoton gestrickte Rhythmus mit der stets gleichen ostinaten Baßfigur.
Den Jazzpuristen, den Herrschaften mit der jahrzehntelang gehegten Vorliebe für unverfälschten, strikt nach dem überlieferten Reinheitsgebot gebrauten Swing dreht es sichtlich den Magen um. Doch da ist auch noch die überraschend starke Klientel der Jüngeren, von denen viele an diesem Abend wohl zum ersten Mal den Neuburger „Birdland“-Jazzclub von innen sehen. Sie wiegen sich genußvoll zum hypnotischen Groove der teppichartig ausgewalzten Stücke und finden es toll, daß endlich wieder einer einen Weg gefunden hat, den Jazz mit populären Ingredienzien wenn schon nicht zu den Kids, so wenigstens zu den Endzwanzigern und Mittdreißigern zurückzubringen.
Ernest Ranglin spaltet das Publikum – und vereint es dennoch in seinem Bemühen, den heiligen Gral des Jazz zugunsten einer in Europa bislang völlig unbekannten Fusionvariante aufzubrechen. Der 65jährige Gitarrist und Komponist unterfüttert den Reggae seiner jamaikanischen Heimat mit flinken, akustischen Jazzimprovisationen und vermittelt beiden Lagern dabei zwei elementare Lektionen: Musik muß nicht immer laut sein, um Spannung zu erzeugen, und es sind auch keine komplizierten Strukturen nötig, um sie interessant wirken zu lassen.
Der Erfinder des Ska, einer Frühform des Reggaes, und Produzent von Bob Marleys ersten Millionensellern, zupft mit dem gütigen Lächeln eines Mannes, der niemandem mehr etwas beweisen muß. Ranglins große Liebe gehört zweifelsfrei dem Jazz, sein reifer Sound, in dem sich jede der klar definierten Singlenoten wie in einer süßlichen Wolke aufzulösen scheint, erinnert markant an Kenny Burrell. Die Stücke, ob das frivole „The Irish Washerwoman“ oder das bedächtige „Surfin`“, bewegen sich in chromatischen Läufen geschmeidig-nahtlos vom Thema zu den Soli und wieder zurück.
Wer nur das hören will, was er sieht, der dringt bei der unscheinbaren Legende unter Garantie nie auf den eigentlichen Punkt seiner Botschaft vor. Ranglin kümmert sich derart wenig um die branchenüblichen Gitarrentricks, um Verzerrungen oder Temporekorde, daß sich sogar seine hochkarätige, mit beiden Beinen in der New Yorker Szene stehende Begleitcrew voll und ganz auf den riffartigen, karibischen Charakter einläßt. Wenn der Piano-Shootingstar Laurent de Wilde den Flügel hartnäckig perkussiv bearbeitet, Bassist Reuben Rodgers zusammen mit Drummer Dion Parson diesen berühmten federnden Beat erzeugt, verwischt im Nu jede Grenze zwischen Funk, Bebop und Reggae.
Auch wenn es die bereits zitierten Normenwächter anders sahen: Langeweile blieb im Hofapothekenkeller bei diesem auf seltsame Weise problemlosen Konzert mit einem überlangen ersten Set und einer zu kurz gerateten zweiten Hälfte außen vor. Einer wie Ernest Ranglin steht für unkonventionelle Unterhaltung mit abschätzbarem Tiefgang, die ihre Berechtigung weniger aus der kulturellen Bedeutung, als vielmehr aus ihrer völker- und generationsverbindenden Wirkung bezieht. Aber das ist schon weitaus mehr, als die meisten musikalischen Innovationen der Gegenwart bieten können.