Enrico Pieranunzi Quartet feat. Seamus Blake „New Spring“ | 05.05.2018

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Ein neuer Frühling. Der Duft der Blumen, das Zwitschern der Vögel, das Lächeln auf den Gesichtern der Menschen. All das ist neu, anders als noch in den Wochen zuvor. Ein Kontrast zum saukalten Januar, zum schmuddeligen Februar und zum verregneten März. Enrico Pieranunzi, dieser außergewöhnliche Pianist mit dem wunderbaren, lyrischen Händchen, diese europäische Antwort auf Bill Evans, hat sich an diesem Abend im Neuburger Birdland-Jazzclub vorgenommen, den Frühling mit all seinen Facetten in Musik zu gießen. „New Spring“ lautet das übergreifende Motto.

Keine gefühlsduseligen Wattebäuschchen im Stil von Mörikes blauen Bändern. Der vielbeschäftigte, ungemein populäre italienische Tastenvirtuose, auf den seine Fans an der bayerischen Donau beinahe acht Jahre warten mussten, vertont vielmehr Bilder; bunte und schwarzweiße, helle und dunkle, bewegte und statische. Seine Stücke heißen „April“ oder „Loveward“, sie grooven heftig, pulsieren wie gerade eben erwachtes Leben und stehen exemplarisch für die ungebrochene Freude, mit der der mittlerweile 68-jährige Römer auch nach Jahrzehnten immer noch zu Werke geht. Gut gelaunt moderiert Pieranunzi einen Abend, bei dem ein Höhepunkt den nächsten jagt, angereichert mit jeder Menge technisch-filigraner Raffinessen. Nur Vollgas, keine Ballade. Keine Atempause. (Birdland-) Geschichte wird gemacht!

Die Soli des fantastischen amerikanischen Tenorsaxofonisten Seamus Blake, der im Hofapothekenkeller noch nie so bestimmt, so klar so druckvoll agierte, drängen an die Oberfläche wie Knospen, entfalten sich und blühen in den schönsten Farben. Und der Mann tut wirklich was für sein Geld. Gemessen an der Einsatzzeit gehört er zu den fleißigsten Vertretern seiner Zunft, von seinen unglaublichen Beiträgen her unzweifelhaft zu den absolut besten. Dazu dieses wie ein Uhrwerk arbeitende Rhythmus-Tandem mit dem Bassisten Luca Bulgarelli, der sich hörbar am Klavier als üblicherweise am Schlagzeug orientiert, sowie dem stringenten, ungeheuer swingenden Drummer Mauro Geggio. Und endlich mal wieder ein Pianist, der die wahren Stärken dieses Instrumentes im Jazz in den Vordergrund rückt: klar struktuierte Voicings, kunstvoll gebundene Harmoniegeflechte und verwegene melodische Konstrukte. In dieser Kombination gelingt so etwas derzeit nur Enrico Pieranunzi.

Wo die eigentlichen Wurzeln dieses preisgekrönten Elfenbein-Virtuosen liegen, offenbart ein Edelstein im Dreivierteltakt. „Blue Waltz“ schaukelt virtuos zwischen seiner Vergangenheit in der klassischen Musik und seiner Gegenwart im vogelfreien Jazz. Ganz zum Schluss schenkt Pieranunzi, dem die Rückkehr in den Hofapothekenkeller offenbar genauso viel Spaß gemacht hat, wie dem begeisterten Publikum, dem Birdland zum Sechzigsten noch zwei selten gespielte Stücke voller Nachhaltigkeit, nämlich „5+5“, das er sich selbst anlässlich seines 55. Geburtstages auf den Leib schrieb, und „From Me To C.“, eine Ode an seinen Ex-Partner Chet Baker. Bis zum nächsten neuen Frühling!