Enrico Pieranunzi Quartet feat. Seamus Blake „New Spring“ | 05.05.2018

Donaukurier | Karl Leitner
 

Es gibt Melodien, in die man sich augenblicklich verliebt. Enrico Pieranunzi, Pianist, Komponist und Bandleader aus Rom, verfügt über die Gabe, Stücke mit exakt solchen Melodien zu schreiben. „Amsterdam Avenue“, „Entropy“ und „New Spring“ heißen sie, bedienen die Genres Modern- und Mainstream- Jazz, sind aber doch gleich-zeitig viel mehr als lediglich Beispiele für musikalische Schubladen. Pieranunzi arrangiere seine Stücke ganz nach Bedarf, wie er selber sagt. Nachdem er einer mit dem Tenorsaxofonisten Seamus Blake, dem Bassisten Jasper Sömsen und dem Drummer Mauro Geggio glänzend besetzten Band vorsteht, die für und mit ihm durch Dick und Dünn geht, bieten sich ihm an diesem Abend im Neuburger Birdland Jazzclub tatsächlich alle Möglichkeiten.

Pieranunzi als Solist öffnet nach der Themenvorstellung seine Stücke, als wären sie allesamt Schatzkisten. Er spielt mit deren Inhalt, lässt die Preziosen durch die Finger rieseln, wägt ab, kombiniert die Einzelstücke. Sein spielerischer Umgang mit der jeweiligen Komposition, seine aus dem Augenblick heraus geborenen Variationen, Einwürfe, Kommentierungen und Spontanideen lassen die Funken fliegen, ganz gleich, ob er dabei den Blues im Hinterkopf hat, die Zeiten von Vaudeville anklingen lässt wie bei beim „Blue Waltz“ oder sich an seine eigene Klassik-Vergangen-heit erinnert.

Wenn es um die Soli geht, steht Seamus Blake als gleichberechtigter Partner neben ihm. Dessen mächtiger Ton ist einerseits Gegenpol zu Pieranunzis flinken Figuren auf dem Flügel, andererseits ist er, wenn er dem Publikum seine unwiderstehlichen Linien geradezu ins Ohr meißelt, auch die ideale Ergänzung. Beide Musiker zusammen erzeugen eine Energie, die man fast mit Händen greifen kann, was freilich ohne die tatkräftige Mithilfe der Herren am Bass und hinter dem Schlagzeug nicht möglich wäre.

Weit über zweieinhalb Stunden nehmen sich Pieranunzi und seine Band an diesem Abend Zeit, um dem begeisterten Publikum im Birdland ihr Projekt „New Spring“ mit all seinen Farben und Schattierungen und all den darin enthaltenen Raffinessen nahezubringen. Jede einzelne Minute ist der pure Genuss, keine einzige möchte man missen. Und als schließlich nach der Zugabennummer „Five Plus Five“, die sich Pieranunzi, wie er mit einem Augenzwinkern erzählt, selber zum 55. Geburtstag geschrieben hat, das Saallicht aufleuchtet, weiß man schließlich, warum er im Programmheft als „Europas nachweißlich bedeutendster Pianist des Modern Jazz“ bezeichnet wird. Ganz einfach, weil’s stimmt.