Enrico Pieranunzi | 21.09.2000

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Baroque meets Jazz, Jazz meets baroque. Der italienische Pianist Enrico Pieranunzi vollzog die Begegnung im Birdland Jazzclub aus beiden Blickwinkeln in souveräner Manier. Das Verlassen eingetretener Pfade und der Wechsel der Perspektive entfalteten völlig neue musikalische Facetten.

Scarlatti, Pachelbel, Bach und Zipoli, jeder gute Barockmusiker mußte improvisieren können, und so gelingt der Brückenschlag bereits im Ansatz. Pieranunzi ist hörbar im Jazz zu Hause, kein klassischer Konzertpianist im engen Sinn, aber sein jazzgeschulter Anschlag läßt die Musik glasklar, perlend, weich und schmiegsam in den Keller fließen. Intellektuelle Distanz, intensive Auseinandersetzung und ernsthaftes Empfinden gehen eine Symbiose ein, die recht unspektakulär wirkt, aber gerade darin folgerichtig ist, alltagstaugliche Weisheit entfaltet und die Unbilden des Lebens bewältigen hilft, von denen der Barock ebensoviel wußte wie so mancher Zeitgenosse. Dem Thema seine Substanz entlocken, Phantasie spielen lassen, nicht der Musik den Stempel aufdrücken, sondern in sie hineinhorchen, sie zu Wort kommen lassen, Pieranunzi nähert sich dem Barock aus einer der Musik dienenden Motivation. Er läßt sich auf sein Material ein, gibt ihm Raum und wartet sensibel auf den Punkt, an dem es selbst sein Geheimnis preiszugeben bereit ist. Und er verfügt souverän über die Zeit, atmet die Töne förmlich in den Raum hinein, läßt Zeit jenseits aller Herrschaft der Uhren und Metronome als eigenständig erlebtes Existenzial erfahrbar werden.
Das ist seine große Stärke auch im Jazz: Pieranunzi bleibt sich selbst in beiden Idiomen treu. Das zweite Set bestreitet er gemeinsam mit dem Bassisten Piero Leveratto und dem Schlagzeuger Marcello Di Leonardo: Pianotrio-Jazz auf höchstem Niveau. Pieranunzi spricht eine völlig eigenständige Sprache, baggert und wühlt sich ellbogentief in seine Themen hinein, verzwurlt und verwurlt. Plötzlich wirkt dann alles wieder licht und leicht mit nur so dahin getupften Miniaturimpressionen, die wirken wie Sonnenstrahlen vor der Gewitterwolke. Das Trio agiert in offener Kommunikation und geschlossenem Gesamtklang, individueller Entfaltung und sensiblem Hinhorchen. Das harmonische Gespür hat immer Bindung zueinander, der Pulsschlag bleibt geerdet und die filigran verschachtelten Improvisationen wirken dicht und gelöst zugleich: „Multiple Choice“. Und das wiederum passte wunderbar zu Johann Pachelbels Choral mit Variationen in G-Dur aus dem 18. Jahrhundert: „Werde munter mein Gemüt“.