Emil Mangelsdorff Quartet | 29.09.2000

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Gesucht wird: Der Schlüssel zur Innovation. Unbekannte Stile und Spielarten, spektakuläre Fusionen und Instrumentalkombinationen sollen dem altersschwachen Patienten „Jazz“ seit geraumer Zeit wieder auf die Beine helfen. Dabei vergessen die selbsternannten Modernisten nur allzu gern, dass äußere Veränderungen nur der übertünchenden Kosmetik dienen, wenn das Bewusstsein des Musikers dabei nicht im gleichen Maße mit der plakativ zur Schau gestellten Flexibilität Schritt halten kann.

Manchmal geht es schlicht nur darum, ein Niveau zu halten, allen trendmäßigen Blödeleien zum Trotz. Irgendwann kommt dann garantiert die Zeit, in der das Gebotene wieder haarklein ins ästhetische Parameter passt. Schließlich waren Qualität und das Bewusstsein für Form und Struktur schon immer die effektivste aller Innovation. Weil nur wenige in diesem Maße damit haushalten und dabei auch ihre eigenen Grenzen erkennen können, geht die echte Erneuerung nur über solch weise Musiker  wie Emil Mangelsdorff, der zum zweiten Mal im „Birdland“-Jazzclub gastierte.

Konzerte des älteren, Altsaxofon spielenden Bruders der Posaunen-Ikone Albert Mangelsdorff gehören mittlerweile eher zu den Ausnahmen. Nicht weil der 75-Jährige etwa schlechter wäre, oder sich gar weniger Verdienste um die teutonische Variante der „american music“ erworben hätte. Der vitale Frankfurter forcierte schon in den 50ern mit Vehemenz die Verbreitung von Cool-, Blues- und Avantgarde-Einflüssen in der Republik, experimentierte mit allem, was an Einflüssen durch die Lüfte flog, um schließlich geläutert doch wieder zur Essenz des Bebops zurückzukehren.

Dies brachte ihm zwar weniger Erfolg, aber dafür weit mehr Glaubwürdigkeit, als vielen grundlos hochgejubelten Klangrevolutionären. Emil Mangelsdorff bedient sich noch heute der oft schmählich vernachlässigten Möglichkeiten der Gestaltungskraft. Wenn er sich, wie in „Tenderly“ (am Sopransax!) auf eine Ballade einlässt, dann nutzt er das gesamte Thema als Leinwand für seinen großen, farbigen Ton. Mangelsdorff sondert nie seperate Noten ab, sondern rückt alles in einen engen Gesamtzusammenhang. Der übersehene deutsche Jazzheld erzählt auf seinem Horn Geschichten von markanter Brisanz, angenehm unsentimentaler Emotionalität und frappierender Kurzweiligkeit. Ein Titel wie „Chicken Feathers“ projiziert gar eine Art Spielfilm im Kopf des Zuhörers, in dem sich wuchtige, unaufhörlich rollende Wellen mit zischenden Alto-Gischtkronen durch den Hofapothekenkeller wälzen.

Dass es vor allem nach der Pause ein richtig starker Gig wurde, lag auch an Mangelsdorffs Kumpanen. Mit Vitold Rek, dem Tieftöner (kein Bass brummelt und kreiselt mehr in unteren Regionen), Janusz Stefanski, der (manchmal etwas zu lauten) Drum-Dampfmaschine mit der polyrhythmischen Feineinstellung, und Jörg Reiter, dem sensitiven Tupfer auf die Pianotasten, wusste er drei zusätzliche Sucher nach der wahren Innovation auf seiner Seite. Dass Emil und die Jazz-Detektive dabei in der Zugabe über einen in seiner Einfachheit fast genial intonierten Stripper-Blues stolperten, erhöht deren Erfolgsaussichten um ein Vielfaches. Zumindest an diesem Abend.