Enrico Pieranunzi | 21.09.2000

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Es ist so einfach: „Wir Jazzmusiker nehmen uns ein Thema, spielen es einmal, vergessen es, behalten uns nur die Harmonien und zimmern etwas Neues daraus“, Enrico Pieranunzi sagt dies lächelnd, und das Publikum staunt Bauklötze. Noch mehr Lehrreiches, Verblüffendes aus dem Mund des italienischen Pianisten: „Auch Bach hat so gearbeitet. Die Improvisation war ein wesentlicher Impuls des Barock!“

Im ausverkauften „Birdland“-Jazzclub kann man eine Stecknadel fallen hören. Ausgerechnet hier findet in diesem Jahr die Eröffnungsveranstaltung der Neuburger Barockkonzerte statt, jenem alterwürdigen Klassik-Event, der sich heuer zum 53. Mal jährt und nach Meinung der Veranstalter dringend einer Vitalitätsspritze bedarf. Diese trägt den Namen „Art Baroque“, bildet einen forschend-provokanten Rahmen für die traditionellen Musikabende im Kongregationssaal und erfuhr mit dem Gastspiel des 50-Jährigen, der als Jazz- Elfenbeiner seit Jahren Weltruhm genießt, aber auch eine klassische Professur am Frosinone-Konservatorium in Rom belegte, einen mehr als verheißungsvollen Auftakt.

Pieranunzi hatte sich vorgenommen, den ersten Teil des Abends solo zu bestreiten und dabei die Klangwelt des Barock aufleben zu lassen. Ein spannendes, weil unkalkulierbares Unterfangen, in dem der Pianist zunächst spürbar verhalten, dann zunehmend lebendiger in die Magie der Tremoli und perlenden Bögen Domenico Scarlattis eintaucht.

Johann Pachelbels „Werde munter mein Gemüt“ und das Preludio von Domenico Zipoli offenbaren dann seine wahren Stärken in diesem Genre: Der Römer verspürt nicht etwa, wie viele seiner klassischen Kollegen, den unbedingten Drang, sich durch monströse Anschlagskultur ein eigenes Profil erspielen zu müssen. Er lässt vielmehr mit Hilfe seiner lyrischen Nuancierungsgabe einfach die Noten fließen. Bei ihm bleibt Bach immer der unterschwellig swingende Bach, auch wenn es sich um die tausendste Interpretation des „Wohltemperierten Klaviers“ handelt.

Nach der Pause dann Jazz im Trio: Ein kreiselndes, verschachteltes Mit- und Gegeneinander, in dem die Piano-Instanz und seine Partner Piero Leveratto (Kontrabass) und Marcello Di Leonardo (Drums) faszinierende Musik als Produkt des Augenblicks kreieren. Mit Eigenkompositionen wie „Multiple Choice“ und „The Common Element“ untermauert Pieranunzi seinen Ruf als nüchterner Romantiker und disziplinierter Träumer. Eigenschaften, die ihm auch im Zeitalter des widersprüchlichen Barock zu Ruhm und Ehre gereicht hätten.