Emmet Cohen Trio | 26.02.2022

Donaukurier | Karl Leitner
 

Der Bösendorfer-Flügel im Birdland hat ja schon einiges erlebt, nachdem ihn der große Oscar Peterson höchstselbst für den Neuburger Jazzclub einst auf Herz und Nieren und somit auf seine Tauglichkeit hin geprüft hatte. Selten al­lerdings bespielten ihn seither die inno­vativsten Pianisten des aktuellen Jazz in derart dichter Abfolge wie im Februar diesen Jahres. Zuerst der einzigartige Craig Taborn, dann der sensationelle Jacky Terrassson und nun an diesem Abend kein geringerer als Emmet Co­hen, der sein Publikum im ausverkauften Club von Beginn an zu Begeisterungs­stürmen hinreißt.

Sein aktuelles Album heißt „Future Stride“, was schon viel aussagt über den Inhalt des Konzerts, aber längst nicht al­les. Bei der vor etwa hundert Jahren von Willie „The Lion“ Smith und Fats Waller entwickelten und später von Art Tatum vollendeten Form des Stride Pianos, also des „Klavierspiels der großen Schritte“, denkt man zuerst an die Nachtclubs im Harlem der Roaring Twenties, dann an Stummfilme mit Pianountermalung und an dessen Verwandtschaft mit dem Rag­time. Nachdem jedoch Cohen, der die Tradition nicht leugnet, sondern sich ausdrücklich vor ihr verbeugt, sich des Sujets angenommen hat, ändert sich der Blickwinkel radikal. Die Erkenntnis, dass nämlich die Stilistik von einst sogar zu Jazzstandards wie „Over The Rain­bow“, zu Musicalmelodien wie „Where Is Love“ und zu Miles Davis‘ „So What“ passen würde, ist doch neu.

Mit unglaublicher Dynamik, enormem Esprit, Virtuosität und innerer Coolness weiten Cohen und seine Kollegen (Yasu­shi Nakamira am Kontrabass und Kyle Poole am Schlagzeug) die Grenzen des Stride Pianos ständig aus, wenden die traditionelle Form auf neue Bereiche an, transferieren sie in die Gegenwart. Und zwar mit einer Begeisterung, die überaus ansteckend ist und sofort aufs Publikum überspringt. Cohen selbst strahlt übers ganze Gesicht vor lauter Glück über die­sen so überaus gelungenen Abend, bittet den im Auditorium sitzenden Kollegen Bernd Lhotzky spontan zu einer vierhän­digen Tour de Force an den Flügel und gibt nach zweieinhalb Stunden des puren Genusses gerne zwei Zugaben.

Vor allem als Arrangeur ist Cohen un­verwechselbar, weil er in seine oder die von ihm bearbeiteten Stücke liebend ger­ne Verzögerungen, Beschleunigungen, Pausen und Sudden Stops einbaut. Da­durch verändern sich ständig deren Far­ben, meint man, die Band bewege sich zwar auf bekanntem, aber mit unvorher­sehbaren Stolpersteinen ausgelegtem Weg. Was beim Publikum immer wieder ungläubiges Staunen hervorruft, das durch nichts aus der Fassung zu bringen­de Trio auf der Bühne aber anscheinend überhaupt nicht kümmert, dafür aber dessen Sinn für Humor verrät.

Wenn er über die Tasten fegt, hält Co­hen es mit seinem Kollegen Herbie Han­cock: „Meine Pianofamilie hat 88 Mit­glieder. Weiße und schwarze. Wenn ich mit den Fingern schnipse, tun sie genau das, was ich ihnen sage. Das ist doch ideal, oder?“ In der Tat, er gibt die Rich­tung vor, er ist der Boss, der sich und seine Crew permanent zu neuen Ufern führt. – Ein Hochamt des Piano-Jazz im Birdland also? Genau das!