Emiliano Sampaio’s Meretrio | 07.04.2018

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Was für eine Überraschung! Da kommt ein junger, noch relativ unbekannter Brasilianer zum ersten Mal ins Neuburger „Birdland“ und verzaubert die Gäste auf Anhieb mit seinem ungekünstelten Charme, seinem witzigen portugiesisch-deutschen Dialekt, angereichert durch kleine österreichische Spitzen, sowie einer ganz bemerkenswerten musikalischen Vision, die sich wie er selbst auf erfrischende Weise zwischen allen Stühlen bewegt.

Das, was Emiliano Sampaio da an faszinierenden Klangcollagen im Keller unter der Hofapotheke ausbreitete, diese verblüffende Vielfalt der Ideen und diese unbändige Spielfreude, hätte weiß Gott mehr Zuhörer verdient. Den 33-Jährigen, der 2012 von São Paulo nach Graz ging, um am Jazzinstitut der Kunst-Universität zu studieren, und seine langjährigen Partner Gustavo Boni und Luis André Carneiro de Oliveira störten die etwas gelichteten Reihen jedoch mitnichten. Die drei, die schon seit 2003 in ihrer brasilianischen Heimat als „Meretrio“ für Furore sorgen, haben sich vorgenommen, nun auch sukzessive Europa zu erobern. Und sie wissen: Ein Raketenstart ist in der rauen Welt des Jazz schlechterdings unmöglich.

Also besser die Dinge nehmen, wie sie kommen. In Neuburg – immerhin eine der Top-Adressen Deutschlands – ist es ein kleines, aber absolut begeisterungsfähiges Publikum, das die drei jungen Brasilianer zu einem erstaunlichen Konzert treibt. Es darf über den Gitarristen Sampaio staunen, der den Jazz mit all seinen Ingredienzien absorbiert hat, aber zu keiner Sekunden die musikalische Prägung seiner Heimat leugnen will. Der Wahl-Österreicher kann herrlich schwelgende, pfeilschnelle Läufe auf seiner elektrischen Guild Capri aus dem Moment des Augenblicks heraus kreieren, aber durch seine zupackende Griffstruktur problemlos auch in die wilden Tiefebenen des Rock hinabsegeln.

Besonders raffiniert wird es immer dann, wenn der Tausendsassa die Läufe seiner Gitarre mit einer Loop-Maschine sampelt, diese zur Seite legt und seine Posaune zum Mund führt, um über die Endlosschleife eine neuen instrumentalen Faden zu knüpfen. Da verknoten sich schräge, süffige Gitarrenriffs mit dem platzenden Posaunensound. Dank dieser dualen Klangsprache generiert Sampaio eine faszinierende Erzählstruktur voller leuchtender Farben. Die daraus entstehende Musik wirkt wie ein Vexierspiel, bei dem sich freie Improvisation, Popstrukturen, Folk und kammermusikalische Stimmungsbilder zu einem starken Persönlichkeitsstil vereinen.

Die Songs tragen Namen wie „Valses“, „Long Way“ oder „Interpretation“ und verraten viel darüber, wie sich das „Meretrio“ eine eigene Nische in der umkämpften Jazzszene erobern will. E-Bassist Boni und Drummer Carneiro de Oliveira agieren im besten Sinn als Begleiter Sampaios. Das tun sie jedoch exzellent, mit der gebotenen dienenden Präsenz, die ihren Beitrag als starkes Fundament für die außergewöhnlichen Exkurse ihres Freundes erkennen lässt.

„Wir haben noch nie eine zweite Zugabe gespielt“, freut sich Emiliano Sampaio über den nicht enden wollenden Beifall der Leute, die die drei gar nicht mehr von der „Birdland“-Bühne lassen wollen. Ein nicht unbedingt zu erwartender musikalischer Hochgenuss, passend zum ersten richtigen Sonntag des Jahres.