Ed Neumeister Quartet | 21.02.2003

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Was ist neu an Ed Neumeister? Sein Quartett kann es kaum sein, denn es folgt lediglich der klassischen Besetzungslinie des Jazz, konzentriert sich auf deren wesentliche Instrumente und kommt auch noch akustisch daher. Oder „altbacken“, wie neunmalkluge Möchtegern-Neuerer solcherlei Tun gerne abqualifizieren.

Obendrein erweckt die sattsam bekannte Melange aus Standards und Originals im Neuburger „Birdland“-Jazzclub den Anschein eines tausendfach reproduzierten Repertoires. Die Bedeutungslosigkeit scheint für den amerikanischen Posaunisten mit deutschen Wurzeln längst ein komfortables Karrieregrab reserviert zu haben. Doch Neumeister ist anders, was sich selbst abgebrühtesten Skeptikern im Laufe eines mehr als außergewöhnlichen Abends erschließt.

Freilich nicht sofort. Denn konditionierte Jazzohren sperren sich zunächst vehement gegen das Ungewohnte, die meditative, fast introvertierte, unglaublich homogene Performance. Ed Neumeister,  Bassist Drew Gress, Drummer John Hollenbeck und die österreichische Piano-Legende Fritz Pauer stellen im Hofapothekenkeller vor leider viel zu spärlicher Kulisse in aller Klarheit unter Beweis, dass eingespielten Workingbands die Zukunft gehört, dass Ausdruck, Form und Farbengebung im Jazz das stinklangweilige Schema „Solo-Thema-Solo“ längst auf der Standspur überholt haben.

Auf der Bühne wird zu keiner Sekunde um den Sound gekämpft. Trotz freier dynamischer Ausgestaltung bleibt alles transparent, klar strukturiert, hoch spannend bis zum letzten Beckenschlag. Was einst nur im Freejazz als kleinster gemeinsamer Nenner möglich schien, hat inzwischen die großen Könner des Mainstream erreicht. Sie formen Geschichten, Hörfilme, akustische Bilder. Jeder Song ein intellektuell geprägter Entwurf, der irgendwann unweigerlich Fantasien fliegen lässt und die Seele einen winzigen Spalt öffnet.

„It was after the Rain, that the Angels came“: Eine graue Long Island-Ballade, bei der über der nebligen Posaune und klingelnden Drums scheinbar die Möwen kreischen. Im „Copying Song“ fädelt der großartige Schlagzeuger Hollenbeck das Quartett nur mit kleinen Schellen in einen fast hypnotischen Rhythmus ein, hinter dem Neumeister tönt, wie ein verzweifelt-wütender Diskutant und sich Gress zu einem melancholischen Endzeit-Statement am gestrichenen Bass hinreißen lässt. Ziemlich sexy klingt dagegen „Mr. Cool“. Ein Blues, in dem Fritz Pauer, der wohl modernste Piano-Traditionalist Europas, bekannt lässig auf dem Elfenbein einher schlendern darf, während Neumeister seiner „Trombone“ mit dem Plunger wollüstige Laute entlockt.

Das wirklich Neue an Neumeister und Co. ist ein „A-Train“, der nicht etwa auf Hochglanz poliert über die Schienen einer Museumsbahn zuckelt, sondern vorsätzlich einige Graffitis und Kratzer zur zeitgemäßen „Verschönerung“ verpasst bekommen hat.

Es sind die überraschenden Wendungen im scheinbar Vertrauten, der unverhoffte Kitzel auf der Zunge, die den besonderen Reiz dieses im besten Sinn des Wortes innovativen Quartetts ausmachen. Zur Nachahmung dringend empfohlen. Damit sich Musiker wie Publikum gleichermaßen endlich wieder zu fordern beginnen.