Noch so ein Foto, das man eigentlich über Nacht in die große Ausstellung des Birdland-Jazzclubs Neuburg hätte packen müssen, wenn die Zeit nicht so knapp und die Zahl der anderen wunderschönen, aber leider ausgemusterten Bilder nicht so riesengroß gewesen wäre. Da sitzt Pianist Bernd Lhotzky nach einem hinreißenden Konzert bei der zweiten Zugabe einfach nur da und intoniert gedankenverloren einen feinen Ragtime. Irgendwann steht Altsaxofonist Chris Hopkins – in seinem zweiten Künstlerleben ebenfalls ein veritabler Klavierspieler – neben ihm, quetscht sich mit auf den kleinen Hocker. Beide lassen ihre 20 Finger wie Skorpione über das Elfenbein tanzen, kreuzen die Hände, verschränken sie ineinander, auf dass sie fast miteinander verknoten und bekommen dennoch eine zauberhaft swingende Melodie zusammen. Als schließlich Drummer Oliver Mewes mit einem schelmischen Grinsen vorbeihuscht und ein bisschen auf dem schwarzen Holz des Flügels herumtrommelt, ist das Foto des Abends perfekt.
Es gibt viele dieser kleinen, großen Momente in der 60-jährigen Clubgeschichte, ein jeder hat seine eigene Geschichte. Und die der drei überschäumenden Männer am Piano (der vierte, Trompeter Colin T. Dawson, hatte leider keinen Platz mehr) gehört sicherlich zu denjenigen, an die man sich auch in einigen Jahren noch gerne erinnert. An die Leidenschaft, mit der sie ihr Konzert im einmal mehr ausverkauften Hofapothekenkeller gestalten, die ungekünstelte Spielfreude und dynamische Spontaneität, mit der sie zu Werke gehen. Immerhin sind die „Echoes Of Swing“ schon seit über zwei Jahrzehnten in ein und derselben Besetzung unterwegs. Was bei den meisten Bands überhaupt nicht funktionieren würde, haben die „Echoes“ zu einer angenehmen Perfektion getrieben. Inzwischen gehören sie zu den besten und angesehensten Notenarchäologen, gelten als die erfolgreichste Erneuerungscombo des traditionellen Jazz, weil sie es tatsächlich schaffen, die gute, alte Tante Swing von allem Musealen, Hausbackenen, Biederen zu entschlacken und zu einer zeitlos frischen Musikform aufzupolieren.
Die vier Musiker reisen gerne durch die Zeit. Indem sie zwischen heute und verschiedenen Epochen des frühen Jazz fröhlich hin und her springen, schaffen sie eine kostbare Mixtur aus Nostalgie, Originalität, Humor und Virtuosentum. Und sie kommen auch real viel herum. Nur zehn Stunden später sind sie schon beim nächsten Konzert in Rain, weshalb Bernd Lhotzky seine Zunft in der ständigen zwischen den einzelnen Bandmitgliedern wechselnden Conference auch launig mit Piraten vergleicht. Die Parallelen lägen dabei auf der Hand: Beide würden sich nicht waschen, unmäßig trinken und seien Meister im Improvisieren. „Auf alle Fälle geht es oft schlecht aus: Der Pirat endet am Strick und der Jazzmusiker in der Gosse.“
So weit ist es bei „Echoes Of Swing“ noch lange nicht. Der nie um eine geschmeidige Lösung verlegene Pianist Lhotzky, der wuselige Saxofonist Hopkins, der technisch brillante Drummer Mewes und der schneidige Trompeter/Sänger Dawson sind Gaudiburschen mit Niveau, hinreißende Entertainer und grandiose Musiker. Sie agieren pfiffig, schmissig und dennoch höchst sorgfältig bei jedem Ton, übertragen Stücke von Sidney Bechet, Duke Ellington, Billie Holiday und Coleman Hawkins mit viel Fantasie in ihr spezielles Bandformat. Gleichzeitig haben sie etliche eigene Kompositionen behutsam in die Spielarten der Vergangenheit übersetzt. Die Zeitreisen des Quartetts führen in den Charleston und Jump, in den Jungle-Swing und Soul-Jazz.
Viel wichtiger scheint dabei jedoch ihre ansteckende Haltung, die jeder im Publikum auch nach zwei Stunden spüren kann. Die Jungs haben immer noch Bock auf jedes Konzert, jedes Stück, jedes einzelne Solo, selbst nach dieser langen Zeit. Sogar aus der ermatteten weißen Taube, der „Paloma Blanca“ modellieren sie bei der x-ten Zugabe eine feine, würzige Jazz-Miniatur. Die dabei entstehenden Swing-Echos hallen bis in die laue Frühlingsnacht hinein nach.