Dudli – Roney Special Quartet | 05.11.2022

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Machen zwei Buchstaben und ein Punkt dahinter wirklich den Unterschied? Oder ist es einfach nur der Sohn, der sich an die Fährte des berühmten Vaters hängt? Wallace Roney senior hatte noch vor vier Jahren den Hofapothekenkeller besucht, bevor er 2020 als einer der ersten New Yorker Künstler an Corona starb, seine Mutter, die Pianistin Geri Allen, spielte im Mai 2017 drei Wochen vor ihrem Tod das wahrscheinlich letzte Konzert ihres Lebens im Neuburger Birdland. Und nun muss der Junior an zwei Fotos vorbeigehen, die seine Eltern an eben dieser Stelle zeigen. Schwierige Kiste.

Er spricht eigentlich nicht, das übernimmt den ganzen Abend über der Schweizer Drummer Joris Dudli, der ihn bei seinem Trip durch Europa unter seine Fittiche genommen hat. Natürlich sind die Leute im nahezu ausverkauften Gewölbe vor allem wegen des bekannten Namens gekommen. In der Tat drängen sich Vergleiche auf, weil Wallace Roney jr. auch Trompete spielt. Aber ist es fair, einfach den Sohn als natürlichen Nachfolger des Vaters einzusetzen, ihm so gut wie keine Chance auf eine eigene Entwicklung zu geben? Natürlich tut der Filius auch selbst eine ganze Menge, um den Roney-Mythos zu wahren. Der Vater bestach einst durch seine süffigen Glissandi, die eleganten Ritte im Obertonbereich sowie schneidende Phrasierungen. Das hat sich der 24-Jährige natürlich abgeschaut. Aber dieses irrwitzige Tempo, mit er durch die Takte jagt, diese messerscharfe Attack, diese erstaunlich saubere Phrasierung, dieses ansatzlose Vibrato, das man heute nur noch selten auf der Trompete hört, belegen, dass hier eines der größten Talente der Gegenwart seine ersten Karriereschritte unternimmt.

Wie bei allen Jungspunden geht es natürlich zuerst einmal darum, die großen Trompeten-Vorbilder zu kopieren. Und Wallace Roney jr. hat sie – dank der ganzen Kraft seiner Jugend und den guten Genen – in der Tat alle drauf: Art Farmer mit seinem weich fließenden Ton, Lee Morgan, den er in der feinen, schneidigen, brodelnden Hardbop-Nummer „These Dreams“ perfekt imitiert, Freddie Hubbard in „Fred“, bei dem er mitunter wie eine Reinkarnation der Jazz-Legende wirkt, die 1991 an selber Stelle in Neuburg ein sechstündiges (!) Konzert gab, oder den Kornettisten Nat Adderley. Nur der alte Herr fehlt. Eine bewusste Entscheidung, ein Fingerzeig für alle, die ihn schon in eine bestimmte Ecke stecken wollen? Es wird jedenfalls noch ein bisschen dauern, bis sich darauf ein eigenständiger, unverwechselbarer Stil entwickelt. Aber die Voraussetzungen dazu sind allemal vorhanden.

Inmitten dieser superben Formation fühlt er sich wohl, darf Dinge ausprobieren und das Jazzgeschäft mit all seinen Entertainment-Facetten lernen. Etwa von dem österreichischen Tausendsassa Gregor Storf, normalerweise am Schlagzeug sitzt, diesmal jedoch die ungewöhnliche Instrumentenkombination Piano/Tenorsaxofon erstaunlich unfallfrei und teils sogar virtuos meistert. Oder von dem heftig schaufelnden Bassisten Michael Acker, der für eine permanente Swing-Note im Bandsound sorgt. Der Chef ist ganz klar Joris Dudli, die schlachtenerprobte Drum-Instanz aus dem Land der Eidgenossen, der über ein fein dosiertes Händchen und viele rhythmische Tricks verfügt. Nur – bitte, bitte, liebe Schlagzeuger, Gitarristen oder Saxofonisten: Lasst endlich das Singen sein! Bleibt lieber bei euren Sticks, Tasten oder Klappen! Ein Rat, den auch Dudli nach drei Vokal-Intermezzi unbedingt befolgen sollte, um das Ganze nicht ins Fragwürdige abkippen zu lassen.

Dennoch bleibt ein runder, gelungener Abend in Erinnerung, bei dem sich Wallace Roney jr. nach spontanen Solo-Beifallsbekundungen oft artig mit einem Diener bedankt und am Schluss gar nicht mehr von der Bühne gehen will, als die Band für eine Zugabe die Stimmung hochkochen lässt und – professionell – kurz am Tresen verschwindet. Der Junge ist schließlich auch als Erster wieder oben, weil er einfach nicht genug kriegen kann. Mama und Papa werden mit einem Lächeln beobachtet haben.