Borderlands Trio | 04.11.2022

Neuburger Rundschau | Ssirus W. Pakzad
 

Im Frühjahr 2019 war das New Yorker „Borderlands Trio“ schon einmal im Neuburger Birdland zu Gast. Wer damals anwesend war und Zugang fand zur gänzlich freien Musik dieses Dreiers, wird das Konzert wohl nie wieder vergessen. Nach einigen Pandemie-bedingt vergeblichen Versuchen die Band erneut zu buchen, konnte sie nun endlich wieder einer Einladung folgen. Im Club zeigte sich schnell, dass die Sternstunde aus der Vor-Corona-Zeit kein Zufall war. Videomitschnitte des Borderlands Trios sollten eigentlich an jeder Musikschule gezeigt werden – als perfekte Lehrbeispiele für die Möglichkeiten der Improvisation.

Die kanadische Pianistin Kris Davis (42), der amerikanisch-französische Bassist Stephan Crump (50) und der US-Schlagzeuger Eric McPherson (51) sind Instinktmusiker, die sich auf telepathisch anmutende Weise zu verständigen scheinen. Ohne Vorgaben, ohne Skizzen, ohne ausgearbeitetes Notenmaterial betreten sie die Bühne und lassen ihre Musik einfach geschehen.

Ganz zu Beginn ihres gemeinsamen Konzerts scheinen die Töne etwas ziellos durch den Raum zu flirren, doch bald schon finden sie auf wundersame Weise zusammen – Strukturen schälen sich aus dem ätherischen Klangbild heraus, ein Groove beginnt sich zu formen und zu verdichten. Fast minimalistisch geht es über kurze Strecken zu. Doch bevor eindringliche Repetition die Chance bekommt eine Art Trance auszulösen, haben sich die zuvor punktgenau gesetzten Unisono-Akzente der drei Instrumentalisten schon wieder verschoben und etwas Neues tut sich auf, ein anderer Rhythmus, eine andere Ästhetik, eine andere Sphäre.

Fast unwirklich klingt es, wenn die von der New York Times einst als Jazz-Piano-Visionärin gepriesene Kris Davis den prächtigen Bösendorfer des Birdlands präpariert, wenn sie die Saiten mit Klebebändern dämpft oder kleinen Utensilien beschwert. Das scheppert manchmal bedenklich, tönt wie die Pizzicati auf einem bislang unbekannten Instrument, gemahnt an Kirchenglockengeläut aus der Ferne. Doch die aus Vancouver stammende Musikerin betreibt keine Effekthascherei. Ihre ungewöhnlichen Sounds passen in das perkussive Gesamtbild des Konzerts.

Inklusive Zugabe haben Kris Davis, Stephan Crump und Eric McPherson in über zwei Stunden gerade mal vier Stücke gespielt, vier Stücke, in denen persönliche Egos keinen Raum hatten, in denen es um kollektiven Geist ging, um die gemeinsame Entfaltung. Nur so ist es möglich, diese weiten Bögen zu schlagen, das Tempo nach Belieben zu drosseln und anzuziehen, eine Spannung zu erzeugen, die nie nachlässt und dann auch noch zusammen aufzuhören, als habe man es über Monate so geprobt.
Dieses Piano Trio der etwas anderen Art heißt nicht umsonst „Borderlands Trio“, denn genau genommen halten sich die Drei, die unter diesem Namen firmieren, in vielen Grenzbereichen auf und wechseln munter zwischen Hoheitsgebieten. Sie pendeln zwischen den Genres, zwischen rhythmischen Quellen, zwischen Form und totaler Freiheit, setzten nach prächtig swingenden Passagen vom Gebiet des klassischen Jazz auf unbekanntes Terrain über.