Das Borderlands Trio aus New York trägt seinen Namen nicht umsonst, denn die Musik der Pianistin Kris Davis, des Kontrabassisten Stephan Crump und des Schlagzeugers Eric Mc Pherson spielt im weiten Feld des Jazz so gut wie niemand sonst, kommt sie doch aus einer Welt, in der es keine Grenzen gibt, keine geografischen, keine zeitlichen und schon gar keine stilistischen.
Die Kompositionen, die eigentlich keine sind, sondern eher Blöcke, von denen der erste sich über 60 Minuten erstreckt, sind zu hundert Prozent Improvisation. Was passiert, hängt von der Befindlichkeit der Musiker ab, von der Akustik des Raumes, von den Reaktionen des Publikums. Möglich ist alles, und es liegt gleichermaßen an den Ausübenden wie am Auditorium, alles zuzulassen. Auf der Bühne hat einer eine Idee, kann seine Partner dafür begeistern, gemeinsam wird sie weiter entwickelt. Es entstehen kleine melodische und rhythmische Fetzen, die sich manchmal zu größeren Einheiten manifestieren. Jedoch während der Phase unausgesprochener Übereinkunft bereits bricht einer aus, kommt mit etwas völlig Neuem um die Ecke. Alles ist im Fluss, Panta Rhei in Reinkultur sozusagen. Hier findet stete Veränderung in Vollendung statt.
Man kann sich, als befände man sich inmitten der Strömung eines Gewässers, gegen deren permanentes Anlaufen sperren, sich dem Fluss entgegen stellen. Oder aber sich ihm widerstandslos ausliefern, selbstredend nicht wissend, an welche Art Gestade es einen dabei zu welcher Zeit verschlagen wird. Wer sich für die zweite Variante entscheidet und sich durch diese stets sich verändernden Landschaften treiben lässt, wird vermutlich sogar für sich selbst völlig neue Hörerfahrungen sammeln. Wenn die Pianistin dem Flügel in die Eingeweide greift, einsame Töne in eine bizarre Kulisse stellt oder auf die Tasten einhämmert, wenn der Bassist per Bogen in endlosen Ebenen unterwegs ist, den Corpus seines Instruments als perkussives Element begreift oder als Stoiker seine unerbittlichen Runden zieht, wenn der umtriebige Schlagzeuger ständig neue metrische Varianten ins Feld führt, wenn jedes Instrument zu gleichen Teilen rhythmischen wie melodischen Zwecken dient, dann ist das nicht nur abenteuerlich, sondern auch über alle Maßen verführerisch.
Was hier im Birdland geschieht und am Ende zwei Zugaben hervorruft, ist kein Free Jazz. Es gibt Inseln, die im Nebel auftauchen, die für kurze Verschnaufpausen sorgen in diesem permanenten kreativen Prozess des ständigen Zugreifens und Loslassens, der fortwährenden Annäherung und Verabschiedung. Wobei man natürlich nie konkret anlandet. Vermutlich würde das sogar als störend empfunden und den Genuss schmälern. Und so meint man tatsächlich, aus einer anderen Welt zurückzukehren, als irgendwann der Block, das Set und zuletzt der Auftritt nach gut zwei Stunden beendet sind, weil Konzerte nun mal zeitlich begrenzt sind und nicht ewig dauern. Am Ende geht man nach Hause in dem Bewusstsein, etwas Einzigartiges erlebt zu haben. Und wer das Borderlands Trio nicht bereits von seinem früheren Birdland-Konzert vor der Pandemie her kannte, für den mag der Abend vielleicht sogar eine Art Offenbarung gewesen sein.