Borderlands Trio | 04.11.2022

Donaukurier | Karl Leitner
 

Das Borderlands Trio aus New York trägt seinen Namen nicht umsonst, denn die Musik der Pianis­tin Kris Davis, des Kontrabassisten Stephan Crump und des Schlagzeugers Eric Mc Pherson spielt im weiten Feld des Jazz so gut wie niemand sonst, kommt sie doch aus einer Welt, in der es keine Grenzen gibt, keine geografischen, keine zeitlichen und schon gar keine stilisti­schen.

Die Kompositionen, die eigentlich kei­ne sind, sondern eher Blöcke, von denen der erste sich über 60 Minuten erstreckt, sind zu hundert Prozent Improvisation. Was passiert, hängt von der Befindlich­keit der Musiker ab, von der Akustik des Raumes, von den Reaktionen des Publi­kums. Möglich ist alles, und es liegt glei­chermaßen an den Ausübenden wie am Auditorium, alles zuzulassen. Auf der Bühne hat einer eine Idee, kann seine Partner dafür begeistern, gemeinsam wird sie weiter entwickelt. Es entstehen kleine melodische und rhythmische Fet­zen, die sich manchmal zu größeren Ein­heiten manifestieren. Jedoch während der Phase unausgesprochener Überein­kunft bereits bricht einer aus, kommt mit etwas völlig Neuem um die Ecke. Alles ist im Fluss, Panta Rhei in Reinkultur so­zusagen. Hier findet stete Veränderung in Vollendung statt.

Man kann sich, als befände man sich inmitten der Strömung eines Gewässers, gegen deren permanentes Anlaufen sper­ren, sich dem Fluss entgegen stellen. Oder aber sich ihm widerstandslos aus­liefern, selbstredend nicht wissend, an welche Art Gestade es einen dabei zu welcher Zeit verschlagen wird. Wer sich für die zweite Variante entscheidet und sich durch diese stets sich verändernden Landschaften treiben lässt, wird vermut­lich sogar für sich selbst völlig neue Hörerfahrungen sammeln. Wenn die Pia­nistin dem Flügel in die Eingeweide greift, einsame Töne in eine bizarre Ku­lisse stellt oder auf die Tasten einhäm­mert, wenn der Bassist per Bogen in end­losen Ebenen unterwegs ist, den Corpus seines Instruments als perkussi­ves Ele­ment begreift oder als Stoiker sei­ne uner­bittlichen Runden zieht, wenn der um­triebige Schlagzeuger ständig neue me­trische Varianten ins Feld führt, wenn je­des Instrument zu gleichen Teilen rhyth­mischen wie melodischen Zwecken dient, dann ist das nicht nur abenteuer­lich, sondern auch über alle Maßen ver­führerisch.

Was hier im Birdland geschieht und am Ende zwei Zugaben hervorruft, ist kein Free Jazz. Es gibt Inseln, die im Nebel auftauchen, die für kurze Verschnaufpau­sen sorgen in diesem permanenten krea­tiven Prozess des ständigen Zugreifens und Loslassens, der fortwährenden An­näherung und Verabschiedung. Wobei man natürlich nie konkret anlandet. Ver­mutlich würde das sogar als störend empfunden und den Genuss schmälern. Und so meint man tatsächlich, aus einer anderen Welt zurückzukehren, als ir­gendwann der Block, das Set und zuletzt der Auftritt nach gut zwei Stunden been­det sind, weil Konzerte nun mal zeitlich begrenzt sind und nicht ewig dauern. Am Ende geht man nach Hause in dem Be­wusstsein, etwas Einzigartiges erlebt zu haben. Und wer das Border­lands Trio nicht bereits von seinem frühe­ren Bird­land-Konzert vor der Pandemie her kannte, für den mag der Abend viel­leicht sogar eine Art Offenbarung gewe­sen sein.