Dominic Miller & Band – Audi Forum Ingolstadt | 20.02.2020

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Jeder kennt ihn und hat doch ständig das falsche Gesicht vor Augen: das eines gut aussehenden, blonden Engländers in den besten Mannesjahren. Mit dem Namen Dominic Miller können nur ganz wenige Sting-Fans etwas anfangen, bei seinen fein ziselierten, traurigen Gitarren-Tupfern in zeitlosen Songs wie „Fragile“ beginnen jedoch heute noch in schöner Regelmäßigkeit Fans rund um den Globus zu träumen. Natürlich auch im Audi Forum Ingolstadt, wo der längst von den Fesseln des Sidemans befreite Miller seine Visitenkarte als eigenständiger Künstler abgab.

Ein angenehmer Kontrast zum lauten, schrillen Weiberfasching, ein Abend der leisen Töne, über weite Strecken nachdenklich, filigran und voller introspektiver Momente. Wenn Miller – inzwischen fast 60 und nach abgeschlossener Rekonvaleszenz wieder bei besten Kräften – mit seiner Band um den Bandoneon-Virtuosen Santiago Arias, den Keyboarder Mike Linkup, den Perkussionisten Rhani Krija und den aktuellen Sting-Bassisten Nicolas Fiszman seinen arpeggierenden Fantasien freien Lauf lässt, dann wirkt dies wie ein Ideenwettbewerb um die passenden Töne an der richtigen Stelle. „Absynte“, der Titelsong seines aktuellen – ja Jazzalbums, wirkt bescheiden und erhaben zugleich. Wobei Jazz auch für den Argentinier ein recht dehnbarer Begriff ist, obwohl er zwei gefeierte Alben beim Edel-Label ECM veröffentlich hat. Dominic Miller geht es mit seiner Konzertgitarre vor allem um Klang, dessen Echo und die daraus resultierende Wirkung.

Vor allem auf Letzteres legt Dominic Miller in Ingolstadt gesteigerten Wert. Das Recht der Selbstkopie, zum Beispiel mit „Shape Of My Heart“, sei großen Künstlern ja durchaus zugestanden. Auch wie das Quintett dann dezent in eine andere bekannte Akkordfolge abgleitet, nämlich „A Day In Life“ von den Beatles, das hat Klasse und unterstreicht Millers instrumentale Ausnahmestellung. Dass daraus jedoch völlig unvermittelt in der zweiten Konzerthälfte ein Hit-Potpourri mit Jukebox-Charakter wächst, freut zwar einen Teil des Publikums im restlos ausverkaufen Audi Forum. Aber die schlimme Version von Neil Youngs „Heart Of Gold“, offenkundig wegen des Gitarrenriffs ausgewählt und ohne jegliche individuelle Fußnote, degradiert das eigentlich feine Ensemble zu einer billigen Coverband. Der seltsamen Auswüchse damit nicht genug: Als Zugabe gibt es – offene Münder inklusive – „Stayinʼ Alive“ von den Bee Gees zum Fremdschämen, was in Kombination mit dem finalen, zugegebenermaßen bezaubernden „Fragile“ schlussendlich zu stehenden Ovationen führt. Ein Abend der emotionalen und musikalischen Wechselbäder. Und die Erkenntnis, dass auch die Freiheit des Jazz durchaus ihre Grenzen besitzt.