Dieter Ilg Trio „B-A-C-H“ | 11.10.2019

Neuburger Rundschau | Peter Abspacher
 

An wirklich großer Musik sollte man nichts ändern, nichts hinzufügen noch weglassen. So könnte mancher denken, dem die vielen Cross-Over-Versuche über musikalische Epochen und Stilrichtungen hinweg irgendwie suspekt erscheinen. Und dass Johann Sebastian Bach ein ganz Großer war, auf dessen Schultern bis heute alle wirklich ernstzunehmenden Musiker stehen, daran kann ja kein Zweifel sein. Also Finger weg vom heiligen J. S. B.?

Ja, wenn es darauf hinausläuft, Bach oder andere Klassiker ein bisschen zu „verjazzen“, ein Schlagzeug hinzuzunehmen und Tempo oder Lautstärke etwas aufzumotzen. Ein klares Nein, wenn drei Vollblutmusiker am Werk sind, die eine umfassende klassische Ausbildung mit dem gewaltigen Kosmos des Jazz wirklich verbinden können, die ihren Johann Sebastian genau studiert haben und die wissen, wieviel intellektuelle Disziplin und handwerkliches Können nötig sind, um aus beiden Welten eine eigene, überzeugende musikalische Sprache zu finden.

Dieter Ilg, ein teuflisch fingerfertiger Zauberer auf dem Kontrabass mit einem stupenden musikalischen Feingefühl, ist der Kopf des Projekts „B-A-C-H“. Dazu hat er sich mit dem hoch konzentriert aufspielenden Pianisten Rainer Böhm und dem Schlagzeuger Patrice Heral zusammengetan, dem immer bewusst ist, dass bei diesem Meeting von Barock und Jazz nicht die donnernde Hauptrolle zu geben hat, sondern den kluger Diener in einem bezaubernden Trio-Sound. Diese Welt vereint schwebende Leichtigkeit und kompositorische Verdichtung. Es bereitet Vergnügen und ist emotional berührend, wie Bachs Welt der Motive, des Kontrapunkts und der genialen Variationen in dem Jazz-Barock-Kunstwerk immer wieder durchscheinen – und in eine andere, durchaus exaltierte und wilde Ebene gehoben werden.

Die Aria und drei Stücke aus den großen Goldberg-Variationen, das Präludium aus dem wohltemperierten Klavier BWV 857, die berühmte „Air“ oder das „Notenbüchlein“ für Friedemann Bach – das sind mit fast mathematischer Disziplin komponierte Werke, die auf den ersten Eindruck kühl, klar und kontrolliert, irgendwie ehrfurchtgebietend wirken. In dieser Tonkunst steckt aber auch der Ansatz zu starken Emotionen, zu Wallungen und Ausbrüchen, sozusagen gebändigt in den formal strengen Regeln des Kontrapunktes. Dem Trio um Dieter Ilg gelingt es, dieses Potenzial in einer freien und mutigen, jedoch nicht zügellosen Musizier-Lust auszuschöpfen.

Die virtuosen Spaziergänge von Rainer Böhm über die gesamte Tastatur der Bösendorfer-Flügels, mit kraftvollem Zugriff, muten gelegentlich romantisch und impressionistisch an, sie sind bei genauem Hinhören aber mit Verstand konstruiert, die Motivik des Bach-Originals bleibt erkennbar auch in der großen Verwandlung. Und was Rainer Ilg auf dem Kontrabass anstellt, ist einfach eine Erlebnis. Jeder Ton sauber und konturiert, auch in rasant-verrückten Läufen und Akkordbrechungen. Ein hinreißender Wechsel zwischen innig empfundenen Motiven, fast wie ein warmer Bariton-Gesang, und den überraschendsten Umwandlungen und Verfremdungen nach allen Regeln der Jazz-Kunst. Der Mann am Schlagzeug hat da eine schwierige Aufgabe, er setzt mit kurz aufblitzenden Motiven und rhythmischen Akzenten seine Duftmarken, klug und stimmig.

Die berühmte Air oder die Eingangs-Aria der Goldberg-Variationen, auf diese Art interpretiert, werden zu einer kleinen musikalischen Offenbarung. Ebenso wie die Anleihen aus dem wohltemperierten Klavier. Man hört und staunt und wartet mit dem Applaus ein wenig, weil einen dieser Welt noch in ihrem Bann hält.