Dick de Graaf Septett | 10.02.1995

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Am modernen Jazz scheiden sich in schöner Regelmäßigkeit die Geister. Für die einen ist er Kopfnahrung, für die anderen nur dissonanter Lärm, der ohne Rücksicht auf die Wünsche des geneigten Publikums erzeugt wird. Daß der holländische Tenor- und Sopransaxophonist Dick de Graaf mit seiner Formation schon nach den ersten Takten seines ungewöhnlichen Gastspiels im Neuburger Birdland-Jazzclub in einer dieser Schubladen verschwinden würde, schien angesichts der komplexen Strukturen seiner Musik eigentlich von vorne herein klar.

Denn das Septett macht es seinen Zuhörern in keiner Phase leicht. Zunächst einmal verunsichert die völlig unorthodoxe Harmoniegruppe, die offenbar ganz bewußt angelegt wurde, um Konventionen zu sprengen: nicht etwa der bekannte klassische Bläsersatz, sondern ein seltsam-neutönendes Konglomerat aus zwei Saiteninstrumenten (Geige, Gitarre) und zwei Hörnern (Saxophon, Posaune). Für den international überaus populären Gruppenkopf de Graaf ergeben sich mit dieser „Mini-Bigband“ freilich völlig neue Ausdrucksformen. Die traditionellen Swing- und Bebopformen stets im Auge, springen die Sieben innerhalb eines Themas munter von Tonart zu Tonart, wechseln den Rhythmus nach Belieben und machen sich einen Heidenspaß am schwerelosen Treiben in den selbstgeschaffenen, weiten Freiräumen. Ein Erlebnis, zweifelsohne. Doch darf man dabei auch keine Sekunde in der Konzentration nachlassen, sonst geht der rote Faden verloren.

Das lyrisch-depressive „Slow Mo“ verkaufte das Dick-de-Graaf-Septett in Neuburg fast mit dem Etikett „leicht verdaulich“. Anders da schon das afrikanisch geprägte „Sunday morning Soveto – at Sophie`s Place“ (mit einem kernig-expressiven Posaunensolo von Hans Sparla und schwebenden Tutti-Chorusen), das kreiselnd-orgiastische „P.M“, das alptraumartig-verfremdete „R.A.M“, eine Neudefinition von „Round about Midnight“, und die Karikatur einer Ballade auf dem Thema von Duke Ellingtons „Heaven“.

Daß sich das Septett in all dem (gewollten) Chaos gottlob als homogene, probengestählte Einheit präsentierte, bei der es keinen herausragenden Solisten braucht, ließ die komplizierte, aber hochinteressante Architektur der Songs großteils nachvollziehbar erscheinen. Neben Dick de Graaf mit wilden Akkordfolgen, Wim Bronnenbergs bluesgetränkten Gitarrenläufen, Ge Bijvoets sperrigen Pianoläufen und Sparlas aggressiv-röhrender Posaune arbeitete vor allem Michael Gustroff, der einzige Deutsche in der Band, mit beachtlichem Erfolg an der Beseitigung des Vorurteiles, daß in akkustischen Jazzformationen eine Violine nur störend wirkt.

Der Zick-Zack-Kurs durch den Gegenwarts-Jazz forderte jedoch ganz logisch auch Widerspruch heraus. Zum einen die im Jazzkeller immer wiederkehrende Streitfrage, ob sich ein exzellent rhythmisch agierender Schlagzeuger wie Pieter Bast wirklich zum „Haudrauf-Trommler“ reduzieren muß, um Aufmerksamkeit zu finden. Und zum anderen, ob die fast zweieinhalbstündige hartnäckige Widerborstigkeit der de graaf`schen Musik nur künstlerisches Konzept war, oder auch ein wenig Provokation für konservative Ohren und Seelen sein sollte.