Dick de Graaf Quintet | 20.04.2004

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Etwas Neues. Etwas noch nicht Gespieltes. Etwas, das sich vom Mainstream abhebt, das Diskussionsstoff fürs Publikum und Futter für hungrige Kritiker gleichermaßen liefert. Der holländische Saxofonist Dick de Graaf verfolgt diese nonkonformistische Linie seit mehr als zehn Jahren konsequenter als jeder andere Europäer. Mal Duke Ellingtons unbekannte Werke, dann New Orleans, Folklore aus Mali, Avantgarde, ein Jimi Hendrix-Projekt, die Musik von Sting und Stevie Wonder, oder Beethoven und nun eben Franz Schubert.

Eine weitere Perle in de Graafs Ideenkette. Aber auch eine, die zunächst Argwohn schürt, weil es längst zur Mode geworden ist, Klassik und Jazz zu verschmelzen, das Unvereinbare gewaltsam zusammenzupappen. Und die ganz zwangsläufig wieder Erwartungshaltungen wie im Neuburger „Birdland“-Jazzclub erzeugt, wenn sich mitten unterm Konzert ganze Tische leeren, weil statt schönem Schubert doch nur dumpfes Dissonantes erklingt. Solche Konsumenten würden wohl auch in einem Küblböck-Konzert tatsächlich Musik erwarten.

Wir befinden uns freilich immer noch in einem Jazzkeller, de Graaf und seine vier Mitstreiter sind Jazzmusiker reinsten Wassers, selbst der Cellist Daniel Pezzotti, der eng neben dem Sax kratzt und treibt, fernab eines feinen, kultivierten Strichs. Und Bach spielen kann sowieso jeder, weil er rhythmisch, strukturiert und plausibel klingt. Aber Schubert? Der Fluss der Linien, die Süße der Melodien? Dick de Graaf hat erkannt, dass eine solche Fusion nur dann funktioniert, wenn sie nicht symbiotisch gerät. Der 49-Jährige transformiert die klassischen Notenskulpturen ohne halbseidene Kompromisse direkt auf seine Wahrnehmungsebene. Er spielt Schubert, und es ist in Wirklichkeit Jazz.

Freilich muss man das C-Dur Streichquintett, die „Winterreise“ oder „Die schöne Müllerin“ schon genau kennen, um herauszufinden, wie raffiniert diese Themen verarbeitet sind. Dabei geht es kaum darum, ein wohlfeiles, populistisches Plagiat à la Loussier abzuliefern. De Graaf nimmt sich nur die zur Verfügung stehenden Noten und denkt sich was dabei. Schubert zu vollenden und mit der „Unvollendeten“ mittels eine Titels namens „Dutch Skies“ gleich in die Vollen zu gehen? Es mag provokant anmuten, was der niederländische Querdenker da mit Österreichs Vorzeigeromantiker anstellt.

Wer jedoch der Intention des Bandleaders folgt, wird ganz schnell feststellen, dass Stücke wie „Fade in, fade out“ oder „To Elvin with Love“ in Stimmung und Intensität erstaunlich geschlossen daherkommen und kaum Brüche in Tempo, Metrum sowie Rhythmus aufweisen. Manchmal gerät die Umwandlung gar zu einer höchst spannenden Angelegenheit, etwa wenn das Andante-Thema aus „Der Tod und das Mädchen“ mit einem harten, untröstlichen Marsch konterkariert wird; ein grandios crescendierendes Poem im Modus des Ravelschen „Bolero“. Der Kombination von Tenorsax und Cello entströmt dabei eine unverblümte, wenn auch wenig keimfreie Sinnlichkeit.

Der Rest der Combo (Andrea Pozza, Piano, Stephan Kurmann, Kontrabass, Norbert Pfammatter, Drums) überzeugt mehr als Ensemble denn solistisch. Doch das ist gewollt. Eine von vielen Anlehnungen an das klassische Original. Wer hören, sich öffnen will, der wird belohnt und nicht wieder Opfer eines Crossover-Missverständnisses.