Dick de Graaf European Quintet | 10.09.1997

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Im Jazz gab`s mal einen Mechanismus: wer aus Europa kam und die Errungenschaften der schwarzen Amerikaner zu imitieren versuchte, den traf der Bannstrahl der Ignoranz mit gnadenloser Härte. Gottlob: die Zeiten haben sich geändert. Keiner in den USA behauptet heute noch offen, daß Musiker aus Spanien oder Finnland keinen Swing „fühlen“ oder Deutsche trotz ihrer angeblich so starken Bach-Verwurzelung nicht in der Lage wären, phantasievoll zu improvisieren.

Wenn`s jedoch zum Schwur kommt, schnappen in der angeblich so offenen, toleranten Weltmusik Jazz auch 1997 immer wieder die Schubladen zu. Den aktuellen Trend, an dem viele großartige Bands aus der „alten Welt“ mitunter schier verzweifeln, schürt freilich keineswegs wie früher die futterneidige Szene selbst. Diesmal sind es Promoter, Plattenlabels und Medien, die Hörenswertes, wie der Holländer Dick De Graaf, den jüngsten Gast im Neuburger „Birdland“-Jazzclub, einfach unter den Tisch fallen lassen.

Der Tenor- und Sopransaxophonist begegnet solchen Strömungen alles andere als resignativ. Sein neues Ensemble trägt den trotzigen Namen „European Quintet“ und vereint bis auf den seit langem in Holland lebenden US-Bassisten Paul Imm eine feine Auswahl hoffnungsvollster Talente aus Italien (Stephane Belmondo, Trompete) und Frankreich (Eric Legnini, Piano, und Jean-Pierre Arnaud, Schlagzeug).

Daß die fünf ihr Handwerk gründlichst in New York in der „Höhle des Löwen“ studierten und es bei Jams oder Konzerten mit hochkarätiger US-Prominenz verfeinerten, spürt jeder im Hofapothekenkeller schon nach wenigen Takten des Openers „Black Nile“. Der spezielle Groove, der nach Meinung der selbsternannten Sachverständigen allenfalls dunkelhäutigen Kollegen im Blut liegt, überträgt sich ohne langwierigen Verzögerungseffekt. Es knackt im Gebälk, wenn De Graaf und Co. die Hardbop-Nummer „Miss Soul“ vom Stapel lassen oder sich mit „Tilt“ die allerbeste Referenz für Zusammenspiel, Time und Gestaltungskraft ausstellen.

Zwei der Furchtlosen seien besonders gewürdigt: Trompeter Belmondo, eigentlich nur „Ersatz“, wegen seiner gestochen akzentuierten Linienführung mit fast lyrischer, „blauer“ Atmosphäre. Und an Dick De Graafs Phrasierung führt in Europa sowieso kein Weg vorbei. Luftig wie auf einer Wolke schwebt er in die Ballade „Soul Eyes“, im Stile alter Chicago-Schule bringt er „Sailing“ zum Schwitzen, eruptiv-leidenschaftlich verleiht er seiner Komposition „Morning Target“ einen Hauch von spiritueller Kraft.

Selbst vor fast leeren Stuhlreihen weit nach dem offiziellen Ende des Konzerts ist der Akku des Holländers noch randvoll. Mit einem elegischen 15-Minuten-Blues spontaner Bauart scheint er selbst dem letzten Gast im „Birdland“ klarmachen zu wollen, daß sich der Abstand zwischen Europa und dem Mutterland des Jazz auf ein kaum mehr wahrnehmbares Minimum verringert hat.