Brad Mehldau Trio | 12.09.1997

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Da tritt einer mit dem hehren Anspruch an, dem Pianotrio – schlechterdings das Flaggschiff des Mainstreamjazz – ein neues Gesicht zu verleihen, und jeder vergleicht ihn mit einem Alten. Brad Mehldau freilich stört es wenig, daß man seinen Namen, wie jüngst beim Eröffnungskonzert der neuen Jazzsaison im Neuburger „Birdland“ geschehen, sogar in einem Atemzug mit dem großen Tastenlyriker Bill Evans nennt.

Denn der 1980 verstorbene Meister von Struktur und Klang verkörpert so etwas wie das ästhetische Ideal des in aller Munde befindlichen Jungtalentes. Was für Mehldau keinesfalls bedeutet, bloß ein überkommenes Rezept auszugraben. Der frisch gekürte Nachwuchs-Pollsieger des renommierten amerikanischen Magazins „Down Beat“ sucht zwar nach belebenden Veränderungen, betreibt diese jedoch längst in umgekehrter Richtung. Im Vordergrund steht das Rütteln an der Tradition, an uralten Quellen der Schönheit, ja sogar an verblaßten spirituellen Werten. Für die Zuhörer im Hofapothekenkeller ein fesselndes, anrührendes, teilweise gar ergreifendes Erlebnis voller Tiefe, Emotionalität und Persönlichkeit.

Gebückt vor dem Bösendorfer kauernd, als wolle er in dessen weitem Bauch verschwinden, mit Armen wie zu Flügeln ausgebreitet, von jedem Ton gedrückt, gezogen, bewegt, bietet Brad Mehldau schon optisch einen markanten Kontrapunkt abseits jeglicher Klischees. Kein Jazzer, nicht einmal Evans, spielte je derart akzentuiert, derart intim. Seine polyphonen Linien nähern sich mit zunehmender Dauer des Vortrages gar der mystischen Magie des Klassikers Glenn Gould.

Irgendwie scheint Mehldau wie eine zeitgemäße Reinkarnation von Goethes Jungem Werther: blaß, zerbrechlich, verwundbar, das Innerste nach außen gekehrt. Natürlich läuft der Pianist damit Gefahr, gründlich mißverstanden zu werden. Denn kann ein musikalischer Seelenstriptease wie dieser überhaupt noch gegen den lauten, forschen Sound der Gegenwart konkurrieren? Durchaus! Vor allem das jüngere Publikum im „Birdland“ entdeckte erstaunlicherweise seinen Nerv für die enorme romantische Sensibilität in Balladen wie „Do You Know What Love Is“ oder „For All We Know“.

Selbst Mid-Tempo-Nummern wie „It`s Allright With Me“ wirkten nicht zuletzt dank Mehldaus kongenialer Mitstreiter Larry Grenadier (Kontrabaß) und Jorge Rossy (Schlagzeug) irgendwie anders. Im Rhythmus, in der Melodie und in den Harmonien. Dieses Jazztrio auf dem Weg hin zu einer neuen Sinnlichkeit zu begleiten, schafft Eindrücke, die fast körperlich spürbar bleiben.