Der rote Bereich | 17.02.2001

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Anarchisch -praktisch – gut! Im Programm war die Rede von einem Schreckgespenst des traditionellen Jazz. Die Avantgarde rief zur experimentellen Exkursion ins Neuburger Birdland. Es waren gar nicht so wenige, die kamen – und mit wachsender Faszination blieben um am Grenzgang teilzunehmen.

„Der rote Bereich“ machte seinem Namen alle Ehre, denn was Frank Möbus (g), Rudi Mahall (bcl) und John Schröder (dr) boten, bewegte sich nahezu permanent in selbigem. Allein schon die Besetzung des Trios mit Gitarre, Bassklarinette und Schlagzeug erhebt das Ungewöhnliche zum Programm. „Da kommen dann manchmal die Leute und fragen, was ist denn das für’n seltsames Saxophon“, berichtet Rudi Mahall, der auf seinem Instrument ganz wunderbare Kiekser und Quietscher, rasende Kurzreferate und skelettierte Melodiefragmente von sich gibt. Frank Möbus wirft mit kräftig angerauhtem Gitarrensound Rockfetzen, Indie-Sounds, harte Akkorde und countryeske Gedankensplitter in den Raum, John Schröder unterlegt und kommentiert das Tun seiner beiden Mitstreiter mit rhythmischer Raffinesse oder stetig treibendem Groove. Die Titel: „Lizard“, „Short Romantic Schoolgirl Song“, „50.000 kleine Wichtigtuer“ oder „Ein Tag im Leben des jungen L.“. „Love Me Tender“ (The King) klingt, als wäre das Lieblingsspielzeug eines abgefeimten Punkers seinem bösartigen kleinen Bruder in die Finger geraten. Der Rote Bereich spielt in seinem „chemischen Urlaub“ mit allen Versatzstücken, die nur vorstellbar sind, zertrümmert mit Lust und fröhlicher Anarchie alle nur denkbaren Klischees und kegelt die Splitter in kindlicher Neugier, unverstelltem Frohsinn und lustvollem Chaos durcheinander, von „Franken global“ nach „Berlin / Mitte“. Das – bei aller Spontaneität durchaus reflektiert Zustande kommende – Resultat darf zuweilen als gewöhnungsbedürftig bezeichnet werden, mag dem Einen oder Anderen gar als kakophon erscheinen, ist aber letztendlich so begeisternd und ansteckend, dass der Zuhörer nach einiger Zeit nur mehr eines hinauszuseufzen vermag: „Schön!“; andererseits wagt niemand die mit allen Überredungskünsten vorgetragene Einladung zu Walzer und Foxtrott anzunehmen. Aber eines ist sicher: Es ist die Avantgarde von heute, die die Klassiker von morgen definiert.