Seamus Blake Quartet | 23.02.2001

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Das Outfit ist Uniform: Mindestens zwei Nummern zu große Wohnhosen, buntes Billig-T-Shirt, Mützchen, Spitzbart. Irgendwie sieht Seamus Blake aus wie ein spätpubertierender Raver und nicht wie ein 31-jähriger Hoffnungsträger des Jazz. So what! Vielleicht sind es ja gerade diese Typen, die jener ach so gern als modern apostrophierten Musik endlich ihre behäbige Altherren-Muffeligkeit austreiben und sie auch wieder für Jüngere attraktiv machen.

Schon „The Real Soundcheck“, der Opener im Neuburger „Birdland“, gibt Orientierungshilfe: Ein ungeordneter Beginn, ein Austarieren, kein Freejazz, aber alles scheinbar relativ dilettantisch. Von einer Sekunde zur anderen hebt das Tenorsaxofon des vermeintlichen Grunge-Hoppers zum Gleitflug ab, lässt herrlich trockene, plastische Phrasen fallen und sich von den Soundschwaden eines Sequenzers davontragen. Bis der prägnante Schlagzeuger Victor Lewis sowie der ausformende Bassist Ed Howard mit einem simplen aber genialen Groove mitten in die Magengrube abermals die Richtung verändern und der ideenreiche Pianist Kevin Hayes derart heftig in den Eingeweiden des Flügels herumzupft, dass es manchmal den Anschein erweckt, als würde eine Hiphop-Combo in einem schrägen Tanzschuppen zum kollektiven Hüftkreisen animieren. Ein Stück ohne Soli. Das Trojanische Pferd ist zum Pegasus geworden.

Seamus, der wundersame Quantenspringer, Akt zwei: Nun nimmt er sich ein Cellokonzert von Robert Schumann(!) vor, bläst melancholisch-lyrische Linien voller unsentimentaler Emotionalität, während ein leicht-delikater ¾-Swing seiner Sidemen wie feiner Sand zwischen die Taktstriche rieselt. Und schließlich die Feueraxt als nächste höchst abwechslungsreiche Seite jenes Mannes, vom dem spätestens jetzt alle im staunenden Hofapothekenkeller wissen, warum er angeblich das Gesicht des neuen Jazz im 21. Jahrhundert prägen soll. Wie Blake und seine Wahnsinnsband nämlich den „Vanguard Blues“ über die Rampe fetzen, wie diese vier aus den verquasteten, immer wieder gleichen zwölf Takten heraus eine kleine musikalische Revolution organisieren und über sattsam bekannte Strukturen glühend heiße Lava kippen, das erfrischt trotz der enormen Hitze.

Offenheit scheint der größte Trumpf von Seamus Blake, der bereits Mitte der 90er bei den „Bloomdaddies“ mit elektronischen Experimenten die Puristen vor den Kopf stieß, um sie kurz darauf mit einem tiefen Bekenntnis zur Tradition wieder zu versöhnen. Er bläst mit der Souveränität, Weisheit und Reife eines doppelt so alten Saxofonisten, driftet aber niemals ins Fahrwasser der großen klassischen Vorbilder wie Coltrane, Rollins oder Coleman Hawkins ab. Das schmächtige Bürschchen im Schlabberlook will nämlich nicht nur äußerlich wiedererkannt werden.

Und dann sein Mut. Wer traut sich heute schon noch, die oft (zurecht) kritisierten Halleffekte eine Jan Garbarek in den treibenden Kontext des Neobop zu übertragen (Victor Lewis` Komposition „A Loss of a Moment“)? In der Zugabe schließlich eine Novität: Seamus Blake schnappt sich eine akustische Gitarre und intoniert einen Popsong. Wie er so dasitzt auf seinem Korbhocker, den Kopf leicht schief gestellt, den Blick nach innen gerichtet, wirkt er tatsächlich wie ein kleiner Kurt Cobain. Und sympathisch näselnd singen kann er – wenn wundert`s – auch noch. Wenn nur das Mikro dabei eingeschaltet gewesen wäre…