Dee Dee Bridgewater | 23.11.2012

Augsburger Allgemeine | Reinhard Köchl
 

im Rahmen des 2. Birdland Radio Jazz Festival

Sie flirtet unverblümt mit der ersten Reihe, schmachtet, lächelt oder leidet stumm vor sich hin, sie schlägt die Beine auf einem Barhocker übereinander, wedelt grazil mit ihrem Fächer und lässt ihre überdimensionalen falschen Wimpern im Takt der zischelnden Hi-Hat klimpern. Selbst wenn Dee Dee Bridgewater gerade mal Pause macht und ihrer veritablen Begleitband das Spotlight überlässt, ruht die Aufmerksamkeit allein auf ihr.

Der von den Programmverantwortlichen des Bayerischen Rundfunks sehnlich erhoffte Weltstar hält tatsächlich Hof in Neuburg, diesem fruchtbaren bayerischen Jazzbiotop. Eine klassische Win-Win-Situation für die zweite Auflage des farbigen und bei jedem Konzert bis auf den letzten Platz ausverkauften Birdland Radio Jazz Festivals, das am Samstag mit einer mehrstündigen Liveübertragung auf Bayern 2 zu Ende ging. Niemand mochte hinterher von einem verschwendeten Abend sprechen, weder die 280 Bridgewater-Fans im Stadttheater noch die charismatische Sängerin selbst, die sich ebenso professionell wie glaubwürdig von ihrem aus dem Rahmen fallenden Auftritt im pittoresken Ambiente angetan zeigte. Normalerweise pflegt die extravagante Dame große Hallen mit ihrer Welle aus gesungenen Emotionen zu fluten. Aber auch im Wohnzimmer-Rahmen versteht sie es, spätestens nach dem zweiten Song ihr Publikum um den Finger zu wickeln.

Eine Dee Dee Bridgewater bleibt immer die Selbe, egal ob mit 40, 50 oder 62, wobei die Nennung ihres Alters eher einem Kompliment denn einer Unhöflichkeit gleichkommt. Egal ob sie eine Broadway-Show singt, ein französisches Chanson, eine Soulpop-Nummer, eine Weill-Komposition oder einen Standard. Egal ob sie die großen Vocal-Kolleginnen des Jazz wie Abbey Lincoln, Billie Holiday, Ella Fitzgerald oder einfach nur sich selber inszeniert. Sie bleibt ein Energiebündel mit unglaublicher Bühnenpräsenz, ein kreativer Vulkan voller berstender Musikalität, eine leidenschaftliche Entertainerin und noch dazu eine hochinteressante Frau, die wegen ihres kahl rasierten Schädels eine mystische Aura von geradezu androgyner Sinnlichkeit ausstrahlt. Doch was das ganze Drumherum bei mancher Mitbewerberin allzu häufig geschickt versteckt, überstrahlt bei ihr immer noch alles: die Stimme.

Jeder Ton, jedes gehauchte Wort gleicht einer organischen Vorhersehung. Sie flüstert und gurgelt ihre Botschaften, sie heult dramatisch auf, geht hoch ins Falsett, messerscharf schneidend, nimmt sich zurück, verfällt in dunkles Knurren, einem drohenden Köter ähnlich. Sie fleht und schluchzt, presst und quetscht. Und sie zerrt den Scat, diese verblassende Kunst der Lautmalerei, mit Hilfe ihrer inspirierenden Komplizen Craig Handy (Saxofon), Edsel Goméz (Piano), Stefan Lievestro (Bass) sowie Kenny Phelps (Drums) ans Tageslicht, verleiht ihr mit instrumentaler Brillanz einen frischen Anstrich.

Richtig unter die Haut geht die jung gebliebene, reife Bridgewater jedoch bei Balladen, die sich dank ihrer fürsorglichen Behandlung zu kleinen, weichen Lebewesen verwandeln, die atmen und schnurren, deren Herzschläge jeder im Theater spüren kann. Als Vehikel dienen dafür weniger Holidays Schmerz-Hymnen „Don’t Explain“, „Lady Sings The Blues“ oder „God Bless The Child“, weil Dee Dees Löwenstimme nicht an die zerbrechliche Intimität einer „Lady Day“ heranreicht. Die bis auf den Kern entschleunigte Version von „Besame Mucho“, einsam auf der Bühnentreppe sitzend, brennt sich jedoch wie ein Tattoo in die Seele derer ein, die dabei sein durften.