David Helbock „Playing John Williams“ | 18.06.2021

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Fehlt bloß noch eine Leinwand. Dann hätte man nämlich den anstehenden Neustart des Neuburger Kinopalastes der Einfachheit halber gleich in den Birdland-Jazzclub in der Oberen Stadt verlegen können, wo schon seit Ende Mai wieder Normalbetrieb läuft. Und da es im Augenblick kaum aktuelle Streifen gibt, tun es Blockbuster wie „E. T. der Außerirdische“, „Superman“ oder Harry Potter“ auch. Nicht zur Not, sondern weil an einem Abend wie diesem eigentlich nichts besser passen kann. Denn die Soundtracks liefert sowieso der Mann am Flügel, denn der ist ausgemachter Cineast, darüber hinaus glühender Fan von John Williams, dem größten Komponisten der Filmgeschichte neben Ennio Morricone, und vor allem ein rasanter, wendiger, schlauer und schlicht hinreißender Pianist.

Das, was der junge Österreicher David Helbock da auf den 88 Tasten des Bösendorfer-Flügels in einer furiosen zweistündigen Performance abliefert, verpasst jedem tausendmal gesehenen Kino-Klassiker eine unerwartete Frischzellenkur. Helbock wuchs zuhause in Vorarlberg mit diesen Filmen auf, allein „E. T.“ zum Beispiel sah er 20 Mal. Oder der „Weiße Hai“: Ein Wechselbad zwischen Angst und Faszination. Immer nur zwei Töne mit der Linken in den Bassbereich hineingestanzt, bedrohlich nähern sie sich, Puls und Blutdruck steigen, auf allen Unterarmen macht sich Gänsehaut breit, das Grauen scheint mit Händen greifbar. Wenn der 37-Jährige dann noch in die Eingeweide des Flügels greift, hat es den Anschein, als würde ein Echolot in die Tiefen des Ozeans gründeln. Und dennoch ist alles ein Klavierstück; ein durchaus anspruchsvolles sogar mit verschobenen Metren, an- und abschwellender Dynamik. Gerade deshalb kann das weit geöffnete Maul der Bestie dabei über jeder Note schweben.

Die Kunst, trotz intelligent strukturierter Verfremdungen schon nach wenigen Sekunden beim Zuhörer bekannte Bilder im Kopf zum Laufen zu bringen und obendrein auch noch ein paar neue zu produzieren, beherrscht David Helbock nahezu traumwandlerisch. Dabei verwendet er vor allem die Vorlagen John Williams, der zu beinahe jedem Film von Stephen Spielberg den Soundtrack komponierte. „Catch me if you can“ wuselt hektisch rastlos durch den Hofapothekenkeller, „Seven Years in Tibet“ entfaltet sich wie eine schwebende Blume, „Jurassic Park“ verbreitet mit seinen klirrenden Obertönen eine rechtschaffene Grusel-Atmosphäre und „Star Wars“ beginnt wie eine Etüde von Rachmaninow, die Darth Vader mit seinem Laserschwert auf das Elfenbein donnert. Der einstige Jazzpianist Williams liebt Thelonious Monk, also verehrt ihn auch Helbock. Seine Interpretation des Klassikers „Round Midnight“ offenbart so manche Dornen, die nachfolgende launige Eigenkomposition „Anonymous Monkaholic“ mit ihrem irrwitzigen Synkopen-Feuerwerk würde perfekt in jeden Disney-Zeichentrickfilm passen.

All dies und vor allem das permanente Ziehen, Zupfen und Dämpfen der Flügelsaiten (was vor nicht allzu langer Zeit bei Clubchef Manfred Rehm mit der Höchststrafe geahndet worden wäre) müsste man wahrscheinlich irgendwann als ziemlich nervtötend einstufen. Aber dagegen stemmt sich Helbock mit seiner ganzen virtuosen Fantasie. Wie er es zum Beispiel schafft, in „A Prayer für Peace“ aus dem Film „München“ einen weiten Harmonie-Bogen zwischen Trauer und Ratlosigkeit zu schlagen, in der herzzerreißenden Melodie aus „Schindlers Liste“ behutsam jede Pause nachklingen zu lassen oder in der wunderbaren Eigenkomposition „Tune for Sophie Scholl“ angenehm pathosfrei ein klingendes Denkmal für die Widerstandskämpferin zu bauen, das ist fürwahr großes Piano-Kino. Das Publikum wäre – dem frenetischen Beifall nach zu schließen – gerne noch viel tiefer in die Film-Galaxie Spielbergs, die Noten-Bergwerke von Williams und die stupende Pianokunst von David Helbock eingetaucht. Doch irgendwann ist selbst der beste Film einmal zu Ende: Happyend, Abspann. Kein normales, aber ein absolut herzerfrischendes Jazzkonzert!