David Helbock – Camille Bertault | 17.02.2023

Donaukurier | Karl Leitner
 

Was sind das denn für Klänge? Ein Pianist spielt das rasende Thema von Egberto Gismonti’s „Frevo“ und eine Sängerin bietet ihm in absolutem Gleichklang problemlos Paroli. Ersterer nutzt diverse Effektgeräte zur Verfremdung des Sounds des Bösendorfer-Flügels, baut vermittels Looper Tonschleifen auf, die sich ohne weitere Tastenberührung selber reproduzieren, seine Partnerin benutzt zwei Mikrophone gleichzeitig, das eine für den Echtzeit-Gesang, das andere als Kontaktkanal für ihre elektronischen Klangerzeuger, lässt ihre Stimme durch den Transposer laufen, so dass sie klingt, als piepste Micky Mouse durch den Kurzwellenempfänger.

Der Mann an den Tasten heißt David Helbock und kommt aus Vorarlberg, die Lady mit der – ob mit oder ohne elektronische Zusatzgeräte – Wahnsinnsstimme ist Camille Bertault und lebt in Paris. Zusammen betrachten sie an diesem Abend die Bühne des Birdland Jazzclubs in Neuburg als riesigen Abenteuerspielplatz, auf dem alles möglich und erlaubt ist, so lange es nur Spaß macht und die Grenzen des Üblichen ignoriert. Vor drei Jahren warfen sie, so erklärt Bertault, ihre Ideen und Vorlieben zusammen und kamen zu dem Ergebnis, als Ziel nicht einen Kompromiss, also einen gemeinsamen Nenner anzustreben, sondern einfach alles zuzulassen. Das freilich nicht als zwei Individualisten, die sie zweifelsohne auch sind, sondern als perfektes Team.

Sind Thelonious Monk, Charles Mingus oder gar Ornette Coleman eigentlich singbar? Eher nicht? Oh doch! Und wie! Spätestens nach diesem Konzert ist offensichtlich, dass das durchaus möglich ist. Und es klingt geradezu sensationell. Mit Kehlkopf- und Stimmakrobatik, mit subtil eingesetzten elektroakustischen Hilfsmitteln, die nie zum Selbstzweck werden, mit einer Stimme, die an Elfen und Sirenen denken lässt, die die Berufsbilder der Chanteuse, der Popsängerin, der Jazz-Scatterin und der Vier-Oktaven-Diva in sich vereinigt und in einer Liga spielt mit Nina Hagen, Björk, Kate Bush und Stephanie Nilles. Dass ihr neues Album ausgerechnet „Playground“ heißt, passt also absolut ins Bild.

DHelbock und Bertault nutzen auf höchst individuelle Weise die Möglichkeiten ihrer Instrumente, des Klaviers und der Stimme. Vom donnernden Akkord der linken Hand über gedämpfte Saiten und den Korpus als perkussive Projektionsfläche hier, vom rasenden Scat in Höllentempo über gehauchte Passagen zur schlichten Ballade dort. Bertault trägt nicht vor, sie zelebriert. Sie hat Schauspiel studiert und weiß folglich, wie man die Geschichten hinter Helbock’s „Lonely Supamen“ oder „Aide-moi“ aus ihrer eigenen Feder auch körperlich ausdrucksstark in Szene setzt. Wenn jemand über die Aura verfügt, eine Bühne zu beherrschen und ohne viele Worte ein Publikum zu verführen, dann sie. Und der Mann am Klavier sorgt für den passenden Soundtrack. Seit seinem Solokonzert an gleicher Stelle mit seinem Programm zu Ehren des großen Komponisten John Williams weiß man, dass genau dies eine seiner Lieblingsdisziplinen ist. – Was für ein in seiner Einzigartigkeit faszinierender Abend, welch atemberaubende Musik, welch großartige Künstler!