David Helbock – Camille Bertault | 17.02.2023

Neuburger Rundschau | Thomas Eder
 

Es gibt Konzerte, da fehlen einem die Worte, da bleibt einem der Mund offen stehen und das Glas Wein auf dem Tisch beinahe unberührt. So geschehen am rußigen Freitag im gut besuchten Birdland Jazzclub. Beinahe wäre der Auftritt der bezaubernden französischen Sängerin und dem smarten österreichischen Tastenvirtuosen wegen einem abends zuvor abgesagten Flug aus Paris auf der Kippe gestanden. Zu unser aller Glück konnte der unbeschreibliche Abend jedoch in letzter Minute gerettet werden.

Der Einstieg mit Egberto Gismontis „Frevo“ mit harten Akkorden, perkussiven Sequenzen, ausdrucksstarkem exzentrischem Gesang und Vokaleffekten wirbelte die Gefühle und Erwartungen im Auditorium gleich mal komplett durcheinander. Das war meisterhaft und für manchen bestimmt auch harter Tobak. Camille und David schafften es dadurch, innerhalb eines Songs eine für alle spürbare Spannung aufzubauen. Mit der folgenden Ballade „Good morning heartache“ beruhigten sie die aufgewühlten Zuhörer wieder und zeigten die andere, ebenso schöne Seite ihrer Medaille. Spätestens von da an hatten die Dame in rot und der Herr in blau freie Bahn und das Publikum in der Hand.

Augen und Ohren klebten förmlich an der Sängerin und ihren schauspielerischen Einsätzen die nicht einen Augenblick gekünstelt, sondern immer authentisch und ehrlich wirkten. Vielleicht ist Sängerin für Camille Bertault nicht die richtige Bezeichnung. Vokalartistin trifft es viel besser. Denn wenn sie bei Alexander Scriabins „Etüde in C“ jeden Instrumentalton in hohem Tempo textlos singt oder bei ihren Eigenkompositionen wie eine Katze miaut, wenn sie afrikanische Gesänge imitiert, über ihre Loops Gespräche legt, sich wie alberne Kinder in Micky Maus-Sprache gebärdet, wenn sie kreischt, krächzt, jauchzt, schnalzt, jault und schnurrt oder ein Lied beendet und man das Gefühl hat den nächtlichen Dauerton der Rundfunkanstalten in den 60er-Jahren zu hören, dann wird einem klar, dass Camille Bertault sich musikalisch in einer höheren, freieren Liga ohne Genre-Grenzen bewegt. Ihr Bühnenmut erinnert in Teilen an die junge Nina Hagen. Denn sie singt nicht nur, sondern sie untermalt und unterstreicht wirklich jeden Laut mit ihrem Körper, fesselt die Leute mit ihren Blicken und zieht sie mit hinein in ihre Welt. Camille Bertault ist ohne Zweifel ein Gesamtkunstwerk.

Ohne ihren Partner David Helbock, der schon zwei Jahre zuvor mit einem tief beeindruckenden Soloprogamm in Neuburg zu Gast war, hätte das aber in dieser Weise nicht funktioniert. Auch er hat mit seiner Art Pianos zu spielen eine eigene unverwechselbare Sprache gefunden. So, als wären ihm die Klänge der 88 Tasten zu wenig, agierte er gern mit einer Hand in den offenliegenden Saiten, dämpfte sie beim Anschlag ab, strich sie an wie eine Harfe, erzeugte dank elektronischer Hilfsmittel Schleifen und legte perkussive Elemente über seine Klanggebäude. Und das mit einer Kraft und Intensität, dass man befürchtete des Bösendorfers letzte Stunde könnte geschlagen haben. Immer wieder hämmerte er den tiefsten aller Töne in den Vortrag, klimperte glasperlenspielartig auf den hohen Tasten oder mimte ein Spieluhr, was auch von ihm vollen Körpereinsatz einforderte.

Hier haben sich zwei Freigeister gefunden, die in ihrer musikalischen Ausdrucksweise sämtliche Grenzen sprengen, dabei nie den Unterhaltungswert aus den Augen verlieren und ihre Darbietung selbst durch die schrägen Momente noch aufwerten. So etwas muss man gehört und gesehen haben. Das Publikum forderte noch zwei Zugaben bevor auch der letzte im Saal zu toben aufhörte. Eine Sternstunde!