Hinsetzen, Scheuklappen weg, den Kontrabass zur Seite und den Flügel in die Ecke. Im Hintergrund sampelt einer hypnotische Lounge-Schleifen, während der E-Bass einen delikaten Groove in den Raum wummert und das Fender Rhodes knackige Funk-Patterns dazwischen schiebt. Und dennoch bleibt es Jazz. Die Lesart des 21. Jahrhunderts. Oder besser: die des Dave Douglas.
Spätestens wenn der vielleicht wichtigste Trompeter der Gegenwart beim ersten Gastspiel seiner Europatournee im Neuburger Birdland-Jazzclub ins Horn stößt, hebt sich der Schleier von der Brücke zwischen Tradition und Moderne, New Orleans und Brooklyn, Akustik und Computersound. Zwischen altem und neuem Jazz. Douglas machte noch nie etwas anderes. Im Gegensatz zum großen Rest seiner Kollegen öffnet er sich pausenlos für neue Aromen, anstatt bedingungs- und kopflos ein obskures Reinheitsgebot hochzuhalten. Die Erde dreht sich eben weiter und die goldene Ära der Ballrooms und des Bebop schlummert längst in der Asservatenkammer. An ihre Stelle ist eine andere Musik getreten. Die des Download-Zeitalters, aber auch sozialer Brennpunkte. Der Amerikaner verstand sich schon immer als Kind der Gegenwart, absorbierte stets die Zeit, in der er gerade lebte, ihre Einflüsse.
Natürlich jongliert Douglas virtuos mit Swing. Mit der destillierten Form. In seiner hoch spannenden Formation Keystone gehen Einflüsse aus 48 Lebensjahren auf: die urwüchsige Kraft des Rock, die pulsierende Sensibilität des Funk und die virtuose Stringenz der Elektronik. Ein frei schwebendes Klangkonglomerat, das man keiner Stilistik zuordnen kann. Am ehesten noch dem Jazz. Gerade weil der omnipräsente Drummer Gene Lake zwar dessen übliches Beatmuster verwendet, es aber statt über die Hi Hat über die Snare laufen lässt. Weil der stoisch pendelnde Bassist Brad Jones seine Walkinglinien auch an der Bassgitarre beibehält. Oder Pete Rende das E-Piano bearbeitet wie ein Honky-Tonk-Klavier.
Es sind die verblüffenden Synergieeffekte, die das Konzert von Keystone zum rauschhaften Erlebnis erheben. Die elegischen Intermezzi von Tenorsaxofonist Marcus Strickland, der in jeder Avantgarde-Combo allerhöchste Anerkennung genießen würde und als Alter Ego die Kontrapunkte zur mal gleißenden, dann wieder dreckigen oder Giftpfeile und Salven abfeuernden Trompete von Dave Douglas setzt.
Ein Extralob gebührt Elektroniker Geoff Countryman für das sensible Handling der Akustik im Hofapothekenkeller. Perfekt ausbalanciert, nicht zu laut und bis ins kleinste Detail nachvollziehbar, kreiert er einen rauen, druckvollen, unwiderstehlichen Sound. Die ultimative Reifeprüfung für Steckdosenbands. Ganz zu schweigen von der musikalischen Matura, bei der es Dave Douglas in den schwierigsten, vertracktesten Arrangements wie in den simplen Groovenummern nur um eines geht: dem Jazz nicht bloß eine Vergangenheit, sondern vor allem eine Zukunft zu geben.