Musik wie ein Chemie-Baukasten: Man nehme handelsüblichen Swing, messerscharfen Techno, ungezähmte Avantgarde, eine Prise HipHop, dazu dezente Einflüsse von Olivier Messiaen, Sun Ra, Arvo Pärt und Mal Waldron. Irgendwann kracht und schnalzt es dann schon, oder es verfärbt und verformt sich. Irgendwas wird auf jeden Fall passieren.
Doch was beim Gastspiel des Trios um den Pianisten Craig Taborn im Neuburger Birdland anmutet, als entstehe es aus einer puren Laune heraus, ist das Resultat kühner Planung, überbordender, aber nie exhibitionistischer Virtuosität und jahrelangen Vertrauens. Untereinander wohlgemerkt, denn das aus allen Hörgewohnheiten gerissene Publikum im Hofapothekenkeller braucht zunächst seine Zeit, um sich in den spröden Klang-Architekturen von Taborn, Bassist Thomas Morgan und Drummer Gerald Cleaver zurechtzufinden. Wenn von dem Trio Töne, Viertelnoten, Klänge oder Pause abtropfen und irgendwo im Raum hängenbleiben wie eine entschleunigte Skizze des hypernervösen Alltags, dann verstören die dabei entstehenden Gedanken, Emotionen und Bilder trotz der balladesken Note.
Vor allem im ersten Set verändern Titel In Chant oder Silver Ghosts pausenlos ihre Struktur. Sie mäandern, schieben sich zäh wie ein Lavastrom dahin, um kurz darauf wie Blätter durch die Luft zu schweben. Taborn, einer der interessantesten Pianisten des jungen, grenzenlosen Jazz, erweist sich dabei als Meister der reduzierten Anschlagskultur. Mal lässt er das Pedal durchgedrückt und drischt Singlenotes oder Synkopen in die Klaviatur, dann wieder füllen dichte Verwebungen komplexer Harmoniewanderungen und schwindelerregender Improvisationen die Takte. Dazu schlägt Morgans Bass langsam wie ein altes Herz, während Cleavers Sticks sich in der Dunkelheit vorwärts tasten, entfernen, bis mit einem Mal alles still steht.
Das Kontrastprogramm folgt nach der Pause: Taborn, Morgan und Cleaver gehen auf Sternenfang, forsch, hektisch, rumpelnd. Eine klirrende Brise aus deformiertem Bebop leitet eine Reise zum Innersten der Musik ein. Die Stücke stehen da wie Skelette, manchmal auch ungewollt unfertig, weil einige Rädchen zu Beginn der Europatournee noch nicht ineinander laufen wollen. Manches ist aber auch schlicht genial. Ein entkernter Blues entwickelt sich zur Lawine, nimmt unweigerlich Fahrt auf, während Taborn zu morsen beginnt: vier Minuten immer dieselbe Akkordfolge, während Cleaver sein Drumset brennen lässt und Morgan ostinate Linien wie rollende Steine dazwischen schiebt. Schwindel kommt auf, Atemnot. Das Karussell dreht sich, eine Art akustische Trance beginnt zu wirken, der Sog des Grooves zieht einen unweigerlich in die Tiefe.
Craig Taborn hat die Urangst des frei improvisierenden Musikers vor der banalen Wiederholung definitiv überwunden. Wenn dem 43-jährigen Rotschopf am Piano eine Phrase gefällt, dann wiederholt er sie einfach. Die spannende Integration der Minimal Music in das ästhetische Konzept des Jazz und die Erkenntnis, dass es noch viele Wege gibt, die ein Pianotrio beschreiten könnte. Dass Taborn und Co. hier vorausgehen, dankt ihnen das Publikum mit minutenlangen Ovationen.