Craig Taborn Piano Solo „Shadow Play“ | 11.02.2022

Donaukurier | Karl Leitner
 

Wenn man nachdenkt über Solokonzerte von Pianisten des Jazz, die für besondere Aufmerksamkeit sorgten, fällt einem vermutlich als erstes Keith Jarrett und dessen legendäres Doppelalbum „The Köln Concert“ ein. Wer an diesem Abend freilich Zeuge des sensationellen Auftritts von Craig Taborn im Birdland wurde, sollte dieses einzigartige Ereignis ab sofort als „The Newcastle Concert“ in seine Überlegungen mit einbeziehen.

Taborn ist schlichtweg und im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend. Ja, in den Passagen, in denen er sich verflüchtigenden Echos nachspürt, flirrende Obertöne in seine Improvisationen integriert, der Stille Raum lässt und dem Faktor Zeit eine ganz neue Bedeutung gibt, traut man sich tatsächlich kaum zu atmen, um nur ja nicht diesen fast mit Händen zu greifenden Prozess der musikalischen Entwicklung und diesem ganz speziellen, magischen Augenblick zu stören.

Wobei Taborn ja eigentlich alles andere als zurückhaltend ist. Sein Spiel ist nicht nur absolut virtuos, sondern eben auch geprägt von ungeheurer Dynamik Sein Anschlag schöpft das ganze überhaupt mögliche Spektrum aus. Dazu gehören fast nicht mehr hörbare Tongebungen am Übergang zur Stille, aber auch mit brachialer Urgewalt in die Tasten gehämmerte Akkorde. Der Begriff der Grenze ist ihm besonders wichtig. Wenn er improvisiert, was er ausschließlich tut, ist es für ihn erstens entscheidend, was sich aus dem Augenblick ergibt, zweitens aber auch, wie das, was sich ergibt, bereits in der Phase der Entstehung, also quasi in Echtzeit, organisiert und in eine für ihn passende Ordnung gebracht werden kann. Dass dieses Vorhaben, das bei jedem Konzert anders in Szene gesetzt wird und folglich an jedem Abend anders klingt, Raum braucht, um zu funktionieren, ist nur logisch. Deswegen spielt Taborn auch keine abgeschlossenen einzelnen Titel, sondern verbindet Einzelteile, die auf seinen Alben durchaus eigene Namen tragen, im Konzert zu Blöcken. Im Birdland gibt es davon zwei zu je 45 Minuten, einen vor und einen nach der Pause.

Das Publikum weiß zwar, dass der jeweilige Block irgendwann seinen Abschluss finden wird, was innerhalb dieses umrissenen zeitlichen Rahmens passieren wird, weiß jedoch nicht mal Taborn selbst im Einzelnen. „Die Passage zum Schluss war angelehnt an Ornette Coleman. Warum ich ausgerechnet auf ihn gekommen bin, weiß ich selber nicht so recht,“ gibt er nach dem ersten Set, das mit einem weit ausgreifenden Ostinato-Motiv begonnen hatte, unumwunden zu. Das zweite fängt mit der Formel des Blues an. Was dann folgt, ist das pure, prickelnde Abenteuer für den Interpreten und vor allem für das Publikum, ein erneuter dreiviertelstündiger Tripp in eine Dimension von Raum, Zeit und Klang, wie man sie so nicht kennt, in der man schwebt und fliegt, aber auch emotional mitgroovt. Oder man gibt sich Assoziationen hin, lässt ganz individuelle Bilder am inneren Auge vorüberziehen. „Ich verstehe meine Titel als Einladungen, die musikalische Erfahrung auch auf andere Bereich auszudehnen“, sagte Taborn mal bei einem Interview. – Was für ein großartiger Abend: „The Newcastle Concert!“