Craig Handy Quartet | 14.01.2000

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Wieder so ein Konzert, wieder so ein Saxofonist, wieder Futter für die berühmten Schubladen des Jazz, in die Spezialisten immer alles blitzsauber verschwinden lassen. Craig Handy, der veritable, gewandte Mainstreamer: wie leicht fällt ein derartiges Urteil angesichts der entwaffnend offenen Musikalität, die der 36jährige einmal mehr bei seinem ausverkauften Konzert im Neuburger „Birdland“-Jazzclub an den Tag legte.

Mit Tradition fängt man Mäuse und versöhnt jeden Gelegenheitshörer. Welch gefährliche Tendenz zur Simplifizierung, die da vielseitigen Künstlern wie Handy entgegenschlägt und ihnen im Nu die Flügel zu kappen droht! Obwohl der New Yorker Antistar im lokomotivartigen Shuffle „One Of Those Things“ gerne seinem Alter Ego Coleman Hawkins nacheifert, den er in Robert Altmans gefeiertem Musikfilm „Kansas City“ verkörpern durfte, steckt in ihm weitaus mehr, als der vom Publikum gewünschte regungslos erstarrte Gralshüter längst überkommener Werte.

Dieser Tenorsaxofonist könnte im Prinzip alles und jeden kopieren. Stattdessen wählt er lieber den steinigen Weg, formt seinen eigenen Stil, der ihn mit niemandem mehr in Verbindung zu bringen droht. Nach dreijähriger Experimentierphase ist Craig Handy auf die Bühnen zurückgekehrt; kein Nostalgietrip, sondern eine kalkulierte Reise durch die Gegenwart. Ein „Birdland“-Konzert dauert gemeinhin zweieinhalb Stunden: jede Menge Zeit, um den aktuellen Standort des Jazz punktgenau zu bestimmen.

Mit einer verschachtelten Ballade wie „Tory“ beispielsweise, bei der der Universalrhythmiker Ali Jackson an den Drums zu langsamen Paukenschlägen im Rap-Sprechgesang von seinem Boss, dem Ladykiller in italienischen Anzügen erzählt, bei dem kein weibliches Wesen dieser Welt widerstehen könne. Nur weibliche Wesen? Als wolle Handy dieses leidige Klischee zerstreuen, bläst er ein gleißendes, butterweiches Solo voller melodischer Prägnanz, um das heimelige Schmusestückchen kurz darauf in einen hypnotischen Strudel zu verwandeln, in den der Magier mit den Rastalocken und dem stechenden Blick jeden zieht, der seine schlängelnden Linien erlauscht.

Handy weiss um die Kniffe eines virtuosen Spannungsaufbaus, sein Ansatz kommt bombensicher, seine Phrasierung wirkt absolut konkurrenzlos. Er imitiert Echoschwaden, modelliert mal laute, dann wieder leise, trockene, luftige, heiße, rauhe Motivketten, er umkreist, beobachtet und prüft jede Melodie, gießt sahnige Läufe oder knüpft glitzernde Girlanden daraus. Sein Spiel atmet hohe musikalische Intelligenz, gepaart mit einem feinen Sensor für das Machbare in einer zunehmend orientierungsloseren Jazz-Landschaft.

Was man aus einer behäbigen Mid-Tempo-Nummer mit Hilfe solch profunder Sidemen wie dem abgeklärt konstruierenden Pianisten Xavier Davis und dem blutjungen, wuchtigen Bassisten Peter Turner herausholen kann, beweist Craig Handy unter frenetischem Jubel bei „Allright“. Da geht es einzig um die Bloßlegung verschütteter Strukturen, um die wahre Substanz eines Themas. Das spacige „Yin Yan“ etwa erobert ein bislang jazzfeindliches Universum. Aus Handys Horn klingt gerade hier ein akustischer Spiegel von New York im Jahr 2000: das Lebensgefühl der „Creatures of the Night“, der Psychodellics, die alten Jazzclubs, der Duft von Abgasen, Geld, Armut, Erinnerungen und Größenwahn. Niemand, nicht einmal Branford Marsalis oder Joshua Redman, beherrscht die komplexe Bandbreite des Tenorsaxofons derzeit virtuoser, als er.