Es ist verdammt schwer, eine metaphorische Brücke zwischen Django Reinhardt und Weihnachten zu bauen. Der verheerende Brand seines Wohnwagens in der Adventszeit 1928, bei dem der Wundergitarrist fast ums Leben kam, scheint für heimelige Stimmungen eher ungeeignet, selbst wenn Django durch die dabei erlittene Verkrüppelung der linken Hand erst seinen unnachahmlichen Stil erlangte. Auch Assoziationen zwischen der Camargue, der Bretagne und verschneiten Winterlandschaften wirken eher mühsam konstruiert. Ein schweres Los also für die Sechs von Cordes Sauvages, beim Jahresabschlusskonzert im Ingolstädter Audi-Forum wie andere zuvor auf das Fest der Feste einstimmen zu müssen.
Dass dies der munteren Combo des Regensburger Gitarristen Helmut Nieberle dennoch mühelos gelingt, spricht für die besondere Qualität eines Konzertes, das weit mehr zu bieten hat, als nur gefahrlos-gefälligen Zigeunerswing zum Nebenbeikonsum. Schon allein die Arrangements, die Nieberle seiner im Geiste Django Reinhardts agierenden Freunde auf den Leib geschrieben hat, heben Cordes Sauvages aus dem Eintopf der ganzen traditionellen Swingbands heraus. Es entwickelt sich ein Wettstreit der Emotionen, ein springendes Glücksgefühl, das innerhalb weniger Momente durch Melancholie und Einsamkeit überlappt werden kann. Glutrote Sonnenuntergänge tauchen vor dem geistigen Auge auf, gelbe Felder, nasser Asphalt, Kinderlachen, ein Glas Rotwein – schlicht die innere Mitte. Wer noch über halbwegs intakte Sensoren verfügt, der kann all dies mit freundlicher Unterstützung der „Wilden Saiten“ (so die Übersetzung des Gruppennamens) in gut zwei Stunden aufsaugen.
Diese unnachahmliche Leichtigkeit, diese federnden Tippelschritte, mit der die Sechs Billie Holidays „When your Lover has gone“ durchmessen, würde man anderen Formationen bei der oft ach so ernsthaften Verrichtung ihrer Arbeit wünschen. Auch „Shine“ sprintet los wie ein junges Pferd, ungestüm, wild, freiheitsliebend, während „Poor Butterfly“ scheinbar alle Probleme des Alltags innerhalb zweier Taktstriche in Luft auflösen kann. Selbst ein lupenreines Sakrileg wie der Song „Martins Benz“ an einem Ort wie diesem wirkt noch wohltuend undogmatisch – wie die gesamte Musik.
Die Band funktioniert als Band und lässt doch jedes ihrer Mitglieder reihum strahlen. Überschäumend virtuos Violinist Martin Weiss, der vor allem im zweiten Set die Arme ganz weit Richtung Publikum ausbreitet, obwohl er sie in Wirklichkeit doch für Bogen und Geige braucht, um damit Soli zu erschaffen, die zu den schönsten auf diesem Instrument im Jazz seit Stéphane Grappelli gehören. Klarinettist Stephan Holstein und Bandleader Leader Nieberle liefern die perfekten Komplementärfarben; elegant, feinsinnig, brillant. Alles eingebettet in einem swingend-flirrenden Gerüst, das Wolfgang Kriener (Bass), Ferry Baierl (Rhythmusgitarre) und Scotty Gottwald (Snaredrum und Hi-Hat) entwerfen.
Dass die Sechs dann doch noch die Kurve Richtung Weihnachten kriegen, überrascht angesichts ihrer enormen imaginären Kräfte längst niemanden mehr. Zunächst intoniert Nieberle eine Serenade von Georg Philipp Telemann – auf einer winzigen Ukulele, erhaben, getragen. Ohne dass es jemand merkt, wird daraus „Morgen kommt der Weihnachtsmann“. Die Zugaben passen dann wie das Rentier zum Schlitten: „Winter Wonderland“ und „White Christmas“. Selten so in Stimmung gewesen vor dem Fest.