Claus Raible ist im Neuburger Birdland Jzzclub kein Unbekannter. Immer wieder mal gibt er – in den allermeisten Fällen im klassischen Format des Pianotrios mit Xaver Hellmeier am Schlagzeug und Giorgios Antoniou am Kontrabass – seine musikaische Visitenkarte ab.
Immer dann, wenn er sich auf den Stuhl mit Lehne – nie ist es ein Pianohocker – fläzt und loslegt, geht es um Bebop, um Standards, um originelle Neuinterpretationen, riecht es nach Thelonious Monk oder Bud Powell, und auch das Publikum lehnt sich entspannt zurück und weiß wenigstens ungefähr, was es zu erwarten hat. Meint es zumindest zu wissen. Nein, diesmal hat der Pianist neue Saiten aufgezogen. Nicht im Bösendorfer-Flügel, wohl aber das Programm betreffend, spielt er doch jede Menge brandneuer Eigenkompositionen aus seinem mit den Musikern des Abends jüngst aufgenommenen Album mit dem vielsagenden Titel „Fugitive Figures“.
Dabei macht er sich die Tatsache zunutze, dass er keiner Sessionband vorsteht, sondern einem top-eingespielten Trio, in dem sich jeder selbst, man sich untereinander und jeder die Stücke im Schlaf kennt. „Wir haben keine Noten und nicht mal eine Setlist“, sagt er gleich zu Beginn des Konzerts. „Brauchen wir nicht, weil wir wissen, dass wir die gleiche musikalische Sprache sprechen“, was nichts anderes ist als eine Umschreibung für blindes Verständnis. Nach wie vor ist das, was das Trio macht, nichts anderes als Bebop – in dieser Hinsicht lässt er sich nicht von seinem Weg abbringen – bestehend aber eben aus Stücken mit hohem Überraschungspotential. Claus Raible ist schließlich nicht nur ein exzellenter Pianist mit eigener Note, sondern auch ein überaus bemerkenswerter Komponist.
Jeder bekommt genügend Raum, sich solistisch auszeichnen. Und tut das auch, aber in der Zeit limitiert. Endlose Soli gibt es hier nicht, dafür eine größere Anzahl an Kompakt-Versionen von „What Love Exotique“, Accelerando In Blue“ und „Close Hauled“ und etlichen anderen aus dem neuen Album. Es soll ja auch noch Zeit sein, sich vor den Großen des Jazz zu verbeugen, vor Bud Powell mit „Tempus Fuge It“, vor Tadd Dameron mit „Our Delight“ oder vor Dizzy Gillespie mit „A Night In Tunisia“. Und vor der Drum-Legende Ed Thigpen, mit der zusammen er 2004 im Birdland unter anderem „Body And Soul“ spielte, auf Band mitschnitt und als CD veröffentlichte.
Wobei eine Konserve, nicht mal eine solch herausragende wie die erwähnte, ein Livekonzert ersetzen kann. Man sitzt im Zentrum des Geschehens, spürt im Optimalfall, wie die Musik atmet, beginnt zu fließen, wie Ideen in den Raum geworfen werden, die durchaus mit dem Risiko behaftet sind, nicht zu funktionieren. Tun sie es aber, erzeugt das eine Art Hochgefühl. Momente, in denen das passiert, gibt es viele an diesem Abend. Raible sitzt auf seinem Stuhl, dehnt sich nach hinten, beugt sich nach vorne, empfindet seine Stücke körperlich mit. Wahrscheinlich liegen die Eindringlichkeit und die Wahrhaftigkeit seines Tuns auch darin begründet, dass er seine Musik nicht nur spielt, komponiert und arrangiert, sondern dass Bebop ganz einfach sein Leben ist. Im Grunde kann er gar nicht anders. Was für ein Glück, dass es so ist.